Wer seine Visitenkarte noch vor seinem 30. Geburtstag mit einem „Director-Titel“ schmücken möchte, sollte schleunigst nach China umziehen. Laut Headhunter Jason Tan von Being & Associates in Shanghai sei die „Titelinflation“ derzeit im chinesischen Corporate & Investment Banking besonders grassierend. Zwar wären auch ausländische Banken betroffen, doch verbreiteter sei dies bei einheimischen Instituten.
„Sie müssen sich nur einmal die chinesischen Bankerprofile bei LinkedIN anschauen. Dort tragen viele Leute Titel wie Deputy Managing Director, Vice Managing Director und Vice Director. So etwas bekommen Sie in Singapur, Japan oder einem anderen entwickelten Bankenmarkt nicht zu sehen“, sagt Tan.
Mit der Jobtitel-Inflation wollen die Chinesen vor allem ihre Kunden beeindrucken. Ein jüngerer Banker mit einem bescheidenen Titel komme in einem Kundenmeeting nicht gut an. „Ein Titel ist in China sehr wichtig, besonders wenn Sie mit dem oberen Management des Kunden arbeiten – beispielsweise um ein Meeting aufzusetzen oder auch nur die richtige Person ans Telefon zu bekommen“, erzählt Headhunter Alistair Ramsbottom von The Blacklock Group in Shanghai.
„Ein Abteilungsleiter eines chinesischen Konglomerats ist lediglich bereit, sich mit einem Banker auf Vice President-Level oder darüber zu treffen. Das gilt sogar für ausländische Banken. Umso größer Ihr Titel ist, desto höher Ihr Nennwert, was sich auch auf Ihre Autorität auswirkt“, ergänzt Tan.
Daher falle die Titelinflation in den Bereichen der Kundenbetreuung wie im Corporate Banking, Private Banking oder der Betreuung wichtiger Privatkunden besonders hoch aus. „Im Investment Banking lässt sich dieser Trend besonders in Sales und Trading, Aktienanalyse und M&A beobachten.“
Nach Tans Erfahrung sei es nichts Ungewöhnliches, wenn Private Banking-Mitarbeiter bereits mit Ende 20 den Titel „Director“ auf der Visitenkarte stehen haben. „Ich habe kürzlich einen 29jährigen Aktienanalysten einer chinesischen Investmentbank kennengelernt, der einen Managing Director-Titel besaß. Haben Sie jemals einen 29jährigen Managing Director in einer globalen Investmentbank in New York, London oder Hongkong gesehen? In China kommt das tatsächlich vor.“
Bei der Titelinflation handelt es sich um eine Begleiterscheinung des rasant wachsenden und talentarmen chinesischen Arbeitsmarktes, wo ein heftiger Wettbewerb um die Kandidaten herrscht. Jobtitel werden genutzt, um Talente von westlichen Banken für Festlandschina und Hongkong abzuwerben.
„Die chinesischen Banken versuchen ihr Kapitalmarktgeschäft aufzubauen; einige Stellen sogar aus dem Ausland ein, aus Finanzzentren wie London. Um die Talente zu überzeugen, bieten sie mehr Geld und einen attraktiveren Jobtitel“, meint auch Headhunter Moncef Heddad von MH Search and Advisory in Hongkong „Unglücklicherweise heuern viele wegen des besseren Jobtitels an und stellen dann fest, dass ihre Plattform und das Produktangebot geringer ausfallen.“
Doch es gibt noch einen längerfristigen Nachteil für die Karriere. „Die Kandidaten übersehen, dass eine klingende Stellenbezeichnung auch mit viel Risiko verbunden ist, besonders in den aktuell volatilen Märkten“, erläutert Heddad. „Wenn Sie erst einmal von einer chinesischen Bank als Führungskraft wahrgenommen werden, dann wird es Ihnen schwer fallen, auf dem gleichen Level einen Job bei einer globalen Bank zu finden, da jeder weiß, dass Sie eine Abkürzung genommen haben. Führungspositionen finden sich bei globalen Banken seltener; bei manchen herrscht sogar Einstellungsstopp für Managing Directors.“
Wer also zu einer internationalen Bank zurückkehren möchte, muss häufig einen Rückschritt in der Karriereleiter hinnehmen. „Ich habe kürzlich einen Risikomanager von einer chinesischen Bank platziert. Auch er verfügte über einen aufgeblasenen Managing Director-Titel. Er fand tatsächlich eine Anstellung bei einer ausländischen Investmentbank. Auf dem Brief mit den Angebot war dann nur noch von Vice President die Rede.“
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