Jeder kann in die Situation geraten, ein Vorstellungsgespräch führen zu müssen und es gibt leider noch keine App, die Einstellungsinterviews ersetzen könnte. Im Gegenteil: Erst Vorstellungsgespräche geben Aufschluss darüber, ob ein „auf dem Papier“ guter Kandidat tatsächlich geeignet ist. Kurt Stolzing, HR Business Partner für Finanzen bei den AXA Versicherungen erläutert: „Uns ist wichtig, dass nicht nur die fachlichen Voraussetzungen stimmen, sondern die Persönlichkeit auch zur Unternehmenskultur passt. Bei AXA steht beispielsweise der kooperative und vertrauensvolle Umgang miteinander im Mittelpunkt.“
Tanja Willing, Personalreferentin der DEVK Versicherungen ergänzt: „Wir legen in Einstellungsinterviews den Fokus vor allem auf die Persönlichkeit des Bewerbers, um einen ‚Match‘ zur Unternehmenskultur herzustellen. Wichtig sind Teamfähigkeit, Lern- und Leistungsbereitschaft.“ Fehlprognosen könnten teuer werden und unerwünschte Konsequenzen haben: Sorgfalt und gute Vorbereitung sind bei Bewerbergesprächen deshalb ein Muss. Wir haben Experten aus der Finanzbranche nach den Fehlerquellen im Kandidaten-Interview gefragt – und danach, wie man diese vermeidet:
Strukturiertes Interview: der Aufwand, der sich lohnt
Vor allem kleinere Unternehmen leisten sich auch heute noch unstrukturierte Vorstellungsgespräche ohne einen vorher ausgearbeiteten Gesprächsleitfaden. Ob im Laufe eines solchen Interviews alle wichtigen Fragen behandelt und aus den Antworten die richtigen Schlüsse gezogen werden, bleibt mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Deutlich bessere Erfolgsaussichten bieten strukturierte Gespräche, die sich an einem Leitfaden orientieren, der speziell für die ausgeschriebene Position zusammengestellt wurde.
Dirk Schulz, stellvertretender Leiter des Bereichs Personal bei HSBC Trinkaus sagt: „Der Interviewer sollte jedem Bewerber im Rahmen eines strukturierten Interviews (‚festgelegter Fragenkatalog‘) idealerweise die gleichen Fragen stellen, so dass die Gespräche vergleichbar sind.
Fragen sollten nicht einfach ‚abgearbeitet‘ werden, sondern sich in Form eines Dialogs mit dem Kandidaten ergeben. Aufgabe ist es hierbei, aus den Informationen des Bewerbers eine sichere Entscheidung über die Qualifikation des Kandidaten zu treffen.“
Besonders valide Ergebnisse versprechen multimodale Gespräche, die gleichzeitig die höchsten Anforderungen an das Know-how der Interviewführer stellen. „Wir arbeiten mit teilstrukturierten Interviews mit multimodalen Elementen. Diese Art der Gesprächsführung macht es uns möglich, nicht nur den einzelnen Gesprächspartner einzuschätzen, sondern auch verschiedene Kandidaten zu vergleichen.
In der Einzelbetrachtung ist das multimodale Interview zwar arbeitsintensiv, in der Vorbereitung aber durch situative Fragstellungen auch zielführend in der Urteilsbildung“, sagt Ulf Gerlach, Leiter Führungskräfte-Beratung im DekaBank-Konzern.
Welche Fehler Sie im Interview vermeiden sollten:
Fragen ohne Bezug zu den Anforderungen
Erstaunlich oft fehlt Interviewern eine konkrete Vorstellung von den späteren Aufgaben des Kandidaten und von den Fähigkeiten, die er für ihre erfolgreiche Bewältigung benötigt. Dirk Schulz: „Jedes Bewerbergespräch ist maximal so gut, wie das Anforderungsprofil differenziert und realistisch ist. Grundlage für ein zielorientiertes, auf das Wesentliche konzentrierte und somit erfolgreiches Vorstellungsgespräch ist daher immer zunächst die gute Erarbeitung eines genauen Suchprofils für die Position.“
„Gegenwärtig führen wir zahlreiche Interviews zur Besetzung von Stellen in den Bereichen Risk und Compliance durch – u.a. mit Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern, Mathematikern und Physikern. Hier kommt es insbesondere auf die Fähigkeit zu strukturiertem und analytischem Denken an. Diese Aspekte spielen in den Kandidatengesprächen deshalb eine große Rolle“, sagt Oliver Simon, Leiter Learning & Development Germany bei der HypoVereinsbank.
„Im Auswahlverfahren führen wir je nach ausgeschriebenem Traineeprogramm und Fachbereich Interviews und andere Übungen durch. Dabei testen wir, ob der Bewerber die Kompetenzen mitbringt, die für die Traineestelle von Bedeutung sind“, betont Isabelle Müller, Gruppenleiterin Personalmarketing bei der Commerzbank AG.
Fragen vor allem zu negativen Aspekten
Ein kulturelles Phänomen speziell in Deutschland ist der defizitorientierte Ansatz (nicht nur) bei Vorstellungsgesprächen. Wichtig ist es, negative Aspekte nicht überzubewerten und in der Folge vorhandene Erfolgsfaktoren unterzugewichten. Auch wenn diese oder jene Eigenschaft eines Bewerbers nicht optimal ist, spricht das nicht notwendigerweise gegen seine Eignung für die ausgeschriebene Position.
Unbedingt den „hundertprozentig“ passenden Kandidaten für eine vakante Stelle finden zu wollen, kann dem Erfolg eher ab- als zuträglich sein.
Interviewen heißt nicht monologisieren
„Das Interview ist die Plattform für den Kandidaten, nicht für den Fragesteller!“ So selbstverständlich diese Maxime von Oliver Simon erscheint, so hartnäckig wird sie vielerorts missachtet. Das Bestreben von Interviewern, ihr Unternehmen und sich selbst im rechten Licht erscheinen zu lassen, ist verständlich – am besten erreichen sie dieses Ziel allerdings, wenn sie den Bewerber ausführlich zu Wort kommen lassen.
Das Interview ist keine Einbahnstraße
„Ein Bewerbungsgespräch ist keineswegs einseitig. Allein der Begriff Interview ist irreführend, da es sich vielmehr um ein Gespräch zwischen gleichberechtigten Partnern handelt. Es ist wichtig, dass auch der Bewerber erfährt, ob die Unternehmenskultur zur eigenen Persönlichkeit passt und die Entwicklungsmöglichkeiten mit den eigenen Zielen vereinbar sind. Auch für einen fachlich und persönlich geeigneten Kandidaten kann somit die zur Verfügung stehende Funktion manchmal nicht passend sein“, sagt Stolzing.
„Sollte das Profil nicht zu unseren Anforderungen passen, erklären wir in einem ausführlichen Feedback am Ende des Auswahlverfahrens die Gründe. Diese Rückmeldung stellt unsere Sicht dar - jedes Unternehmen hat natürlich eigene Kriterien. Unsere Rückmeldung kann jedoch Anregungen für das nächste Bewerbungsgespräch geben“, ergänzt Müller.
Wahrnehmungsfehler berücksichtigen
Jeder Personaler kennt typisch menschliche Wahrnehmungsfehler wie den Halo-Effekt, bei dem von einer Eigenschaft des Kandidaten auf vermeintliche andere geschlossen wird. Beispiel: Wenn sich jemand im Gespräch gut „verkauft“, wird ihm leicht zugetraut, auch im Kundenkontakt erfolgreich zu sein – entsprechende Evaluierungsfragen unterbleiben. Völlig abstellen lassen sich solche Fehlerquellen nicht – deshalb sollte sie sich der Interviewer vor jedem Gesprächsbeginn noch einmal ins Bewusstsein rufen. Außerdem kann man strukturell gegensteuern: Bei der HypoVereinsbank z.B. werden Bewerbergespräche grundsätzlich von mehreren Interviewern gleichzeitig oder als Interviewkette geführt, bei denen die unterschiedlichen Eindrücke am Schluss konsolidiert werden.
Vorschnelle Urteile vermeiden
Der erste Eindruck muss nicht der richtige sein: Erfahrene Personaler trennen Beobachtung und Beurteilung. Die Entscheidung darüber, ob ein Kandidat geeignet ist, sollte man bewusst erst nach dem Gespräch treffen. Gut, wenn man dafür neben der eigenen Erinnerung die eines Co-Interviewers und objektive Kriterien wie z.B. einen während des Interviews ausgefüllten Bewertungsbogen heranziehen kann!
Zehn Fragen für wirklich aufschlussreiche Antworten
Worauf sind Sie besonders stolz, was war bisher Ihr größter Erfolg?
„Um mehr über die Verhaltensweisen der Kandidaten zu erfahren, bitten wir diese, Situationen zu schildern, die sie konkret erlebt haben. Dadurch wird vermieden, dass Bewerber‚ sozial erwünschte Antworten geben oder nur hypothetisches Verhalten beschreiben. Außerdem reichern wir manchmal das Gespräch mit einem Rollenspiel an, um zu erfahren, wie ein Kandidat sich in unterschiedlichen Situationen verhält und auf andere wirkt“, sagt Stolzing.
Sie haben bislang nur Assistenztätigkeiten ausgeübt – haben Sie jemals in Ihrem Leben Verantwortung übernommen?
Provozierende Fragen dieser Art sind ungemütlich, aber nicht unzulässig. Mit ihnen lässt sich das Stressverhalten des Kandidaten auf die Probe stellen.
Was gefiel Ihnen in Ihrer bisherigen Tätigkeit am wenigsten?
Bei dieser offenen Frage kann der Bewerber zeigen, wie er mit negativen Erfahrungen und Frustrationen umgeht.
Wann haben Sie im Beruf gegen Regeln verstoßen – und warum?
Eine echte „Charakterfrage“: Aus dem Zusammenhang des jeweiligen Regelbruchs lässt sich ablesen, ob der Kandidat bereit ist, verantwortliche Entscheidungen auch gegen Widerstände zu treffen, oder ob er zu isolierten Alleingängen neigt.
Was steht nicht in Ihrem CV, was ich ihrer Meinung nach wissen sollte?
Oliver Simon: „Eine Frage, die ich häufig stelle. Sie zielt auf Aktivitäten und Erfahrungen, die das Persönlichkeitsbild des Kandidaten abrunden – z.B. Hobbys oder erste berufliche Gehversuche während des Studiums.“
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