Maggie Thatcher bekam vier Stunden, Napoleon zwei und Obama darf sich über kolossale sechs Stunden freuen – gemeint ist Schlaf.
Der durchschnittliche Junior-Investmentbanker – sei es Analyst oder Associate – rangiert irgendwo zwischen dem Kaiser aus Korsika und der Eisernen Lady. Und das Sonderbare daran: Darauf sind sie auch noch stolz.
Denn Banker tendieren dazu, möglichst viel von allem zu wollen: Lobsters, Lamborghinis und liebliche Ladies – und natürlich Geld. Mehr als jeder andere abzusahnen, gehört gewissermaßen zur Stellenbeschreibung.
Doch sobald es um den Schlaf geht – immerhin eines der Grundbedürfnisse (und Vergnügen) des Menschen, prahlen sie auch noch damit, kaum etwas davon zu bekommen.
„Ich bin seit 10 Uhr hier“, sagte ein Banker, der um Mitternacht vor mir in der Schlange wartete, um seine Arbeitszeit abgezeichnet zu bekommen. „Und jetzt muss ich hier auch noch warten, bis die Formulare ausgefüllt sind.“
„Oh, das ist aber hart“, kommentierte ich. „Ich habe weniger als vier Stunden in den vergangenen zwei Tagen geschlafen“, grinste er zurück. „Ich auch“, kommentierte sein Kollege. „In der vergangenen Nacht bin ich nachhause gegangen, habe geduscht und bin sofort wieder zurückgekommen.“ Darauf reagierte der erste Banker ein wenig verschnupft, denn er war übertrumpft worden. Wenn Sie in den Finanzdienstleistungen arbeiten, dann gilt es als männlich und heroisch, keinen Schlaf zu bekommen, was eine seltsame Kombination aus Puritanismus und Masochismus darstellt.
Denn Schlafentzug fühlt sich an wie betrunken zu sein, ohne den damit verbundenen Spaß zu haben. So sind jedenfalls meine Erfahrungen. Ich bin oft Zickzack früh morgens durch die Londoner City gelaufen, wobei der Verkehr in meinen Ohren lärmte wie eine psychodelische Symphonie. Neonlichter blinkten auf und lösten in mir unkontrollierbare Gefühle aus.
Doch stellt das wirklich den optimalen mentalen Zustand dar, um so etwas Delikates wie die Verkaufsunterlagen für einen Kunden abzuarbeiten? Als ich noch dort arbeitete, habe ich viele Leute gesehen, die sich wie Zombies fortbewegten: die Arme nach vorn gestreckt, taumelnder Gang und nur darum bemüht, irgendwie voranzukommen.
Am schlimmsten ist beim Schlafentzug, dass er die Arbeit unmöglich macht – das gilt ganz besonders für Leute mit Führungsverantwortung. Ein Banker wollte doch tatsächlich, dass ich ihm aus einer Excel-Tabelle 600 Tortengrafiken anfertigte. Als ich ihm sagte, dass das 50 Stunden dauern würde, schrie er und zerknüllte alle seine Papiere. Schließlich musste er sie wieder aufdröseln. Eine Stunde später beobachtete ich ihn dabei, wie er orientierungslos durch ein Großraumbüro lief und vor sich hin murmelte. Niemand hielt ihn dabei auf.
Wer schon einmal im Investment Banking gearbeitet hat, weiß, dass die jungen Banker für ihr Los nicht allein verantwortlich sind. Für erfahrenere und höhere Banker ist es ganz normal, den jungen Bankern ein neues Projekt zu übertragen, kurz bevor sie selbst in den Feierabend starten. Da sie nach ihrer Bereitschaft hart zu arbeiten und ihrem Ehrgeiz zu liefern ausgewählt wurden, setzen sie alles daran, tatsächlich am nächsten Morgen zu liefern – selbst wenn ihre Augen geschwollen sind, ihre Hände zittern und sie dümmlich grinsen.
Beim Schlafentzug im Banking handelt es sich um eine Form des Initiationsritus. Wenn Sie nicht nach nur vier Stunden Schlaf in der Nacht über mindestens drei Jahre funktionieren, dann zählen sie nicht zu den führenden Bankern der Zukunft. So einfach ist das – leider.
Nyla Nox arbeitete sieben Jahre lang in der Grafikabteilung der „Wichtigsten Bank der Welt“ in London. Dabei hat sie mehr Pitch oder Deal Books – inklusive deren Fehler – gesehen als ein Banker in seinem ganzen Leben. Bei Pitch Books handelt es sich um Verkaufs- und Beratungsunterlagen, die mithilfe von Powerpoint erstellt werden. Unterdessen hat Nox bereits ihren ersten Roman unter dem Namen „Ich habe es fürs Geld getan“ veröffentlicht.