Im laufenden Jahr mussten schon zwei junge Banker sterben. Die New York Times berichtet von den tragischen Schicksalen von Sarvshreshth Gupta und Thomas J. Hughes. Beide erlebten ihren 30sten Geburtstag nicht mehr und beide arbeiteten in den Investment Banking Divisions (IBD) von Goldman Sachs bzw. Moelis & Co. Ihr Schicksal könnte zu einem ähnlichen Aufschrei wie der überraschende Tod des 21jährigen deutschen Praktikanten Moritz Erhardt vor zwei Jahren bei der Bank of America Merrill Lynch sorgen.
Insbesondere fallen die Ähnlichkeiten zwischen den Fällen von Erhardt und Gupta ins Auge. Während Erhardt einem epileptischen Anfall unter der Dusche seines Wohnheimzimmers erlag, nahm sich Gupta selbst das Leben. Vor allem in der Vorgeschichte zeigen sich Parallelen. Beide scheinen in den 48 Stunden vor ihrem Tod nicht geschlafen zu haben und bei beiden machten sich die Eltern um die Gesundheit ihrer Söhne sorgen. So schrieb Erhardt um 5 Uhr früh seiner Mutter in einer E-Mail, dass er die Nacht durchgearbeitet habe, während Gupta seinen Vater um Mitternacht anrief und ihm mitteilte, dass er zwei Tage lang nicht geschlafen habe und bis zum Morgen eine Kundenpräsentation abliefern müsse. Er arbeitete 100 Stunden die Woche. Erhardt wiederum hatte Arbeitstage, die 21 Stunden lang waren. Sieben Stunden, nachdem Gupta mit seinem Vater gesprochen hatte, wurde seine Leiche auf einem Parkplatz gefunden. 14 Stunden nach der E-Mail an seine Mutter wurde wiederum Erhardt tot unter seiner Dusche entdeckt.
„Wann immer so etwas passiert, ist das zutiefst traurig und tragisch“, meint Alexandra Michel, Assistenzprofessorin an der Universität von Pennsylvania, die sich seit 13 Jahren mit den Arbeitsbedingungen bei Investmentbanken beschäftigt. „Bei den Banken herrscht eine tiefverwurzelte Kultur der Überarbeitung, die aus überlappenden Systemen entstanden ist“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Das können Sie nicht einfach ändern, in dem Sie ein Memorandum herumschicken und die Wochenendarbeit verbieten.“
Michel spielt damit auf die Versuche verschiedener Investmentbanken an, vor allem die Wochenendarbeit ihrer jüngeren Mitarbeiter zu begrenzen. Dazu zählen Credit Suisse, Goldman Sachs, Bank of America, JP Morgan und Barclays – alle haben Beschränkungen erlassen. Die jüngsten Vorfälle nähren jedoch Zweifel am Erfolg derartiger Maßnahmen.
Nach einer Studie der Universität Maastricht versuchen männliche Arbeitskräfte in den Niederlanden durch „auffällige Arbeit“ ihren Status zu steigern. Laut Michel handle es sich hierbei genau um das Problem, mit dem die Investmentbanken zu kämpfen haben. „Jeder schaut, wie viel die anderen arbeiten. Dabei handelt es sich um den Ursprung des Wettbewerbs und es entsteht eine Unternehmenskultur, in der jeder härter als jeder andere arbeiten möchte.“
Gupta hatte sich bei Goldman Sachs einen Namen als ein Analyst gemacht, an den man sich wenden konnte. „Seine Fähigkeiten und sein Arbeitsethos scheinen ihn dazu gebracht zu haben, eine hohe Arbeitsbelastung anzunehmen“, schreibt die New York Times. Als der Arbeitsanfall im Technologie-, Medien- und Telekommunikations-Team von Goldman Sachs zulegte, hat Gupta augenscheinlich die Lücke gefüllt. Privat hat er gegenüber seinem Vater jedoch geklagt, dass er „zu viel Arbeit in zu wenig Zeit“ erledigen müssen. Schon einige Monate zuvor soll er mit dem Gedanken an eine Kündigung gespielt haben.
Banking-Veteranen versichern, es sei keine schlechte Sache, als jemand bekannt zu sein, an den man sich wenden könne. Allerdings müsse man immer in der Lage bleiben abzulehnen, wenn die Arbeitsbelastung auszuufern drohe. „Sie müssen sich selbst schützen, weil Ihre Vorgesetzten Ihnen immer mehr Arbeit übergeben werden“, betont unterdessen ein Investment Banking-Blogger, der sich als Epicurean Dealmaker bezeichnet.
Laut dem ehemaligen Investmentbanker und heutigen Karrierecoach Mark Hatz würden die besten IBD Teams gegen Überarbeitung vorgehen. „Mir wurde aufgetragen, dass ich gelegentlich Arbeit ablehnen solle“, erzählt Hatz. „Bei diesen Banken handelt es sich um große Unternehmen, sie verfügen über große Ressourcen und große Teams. Für sie stellt es kein Problem dar, jemand anderes zu finden, der etwas übernimmt. Wenn Sie bis 3 Uhr morgens arbeiten und ein Angestellter drängt Ihnen noch etwas anderes mit einer Deadline auf, dann müssen Sie den Mund aufmachen. Dafür wird man Ihnen Respekt zollen.“
Mae Busch, die früher COO bei Morgan Stanley Europa war, fordert, dass den jüngeren Bankern erlaubt werde, über ihre Arbeitsbelastung zu sprechen. Banken wollen Leute einstellen, die etwas erreichen, meint Busch. „Sie wollen sich selbst keine Fesseln anlegen und das System setzt ihnen ebenfalls keine Grenzen.“ Daher liegt es an den jüngeren Bankern, selbst Grenzen zu ziehen und das dürfen sie durchaus vorbringen, ohne dass ihnen mangelnde Kompetenz attestiert wird. Anstatt zu sagen: „Ich kann nicht alles machen“ sollten Betroffene lieber entgegnen: „Ich würde das gerne auch übernehmen, aber ich habe schon drei andere Projekte. Wir würden Sie die Prioritäten setzen, da ich unmöglich alle erledigen kann.“
Doch wie viel ist zu viel? Üblicherweise gilt, dass niemand dauerhaft über längere Zeit hinweg mehr als 80 Stunden die Woche arbeiten kann. Dagegen wird es laut Hatz zu einem ernsthaften Problem, wenn jemand gleichzeitig an drei unterschiedlichen Projekten arbeitet. Jüngere Banker sollen sich sogar auf zwei Projekte beschränken. „Irgendwann gelangen Sie an den Punkt, an denen Sie keine gute Arbeit mehr leisten können, weil Sie einfach zu viel zu tun haben.“
Genau dieses Spannungsverhältnis zwischen viel und guter Arbeit muss angesprochen werden, wenn die Arbeitszeiten immer länger werden, betont Michel. Überarbeitung müsse stigmatisiert und als Warnzeichen für mangelnde Qualität verstanden werden. „Studien belegen, dass Überarbeitung Ihr Urteilsvermögen und Ihre Kreativität beeinträchtigen. Wenn junge Banker zu viel arbeiten, dann stellen wir fest, dass sie immer die gleichen Kundenpräsentationen erstellen und dass sie die entscheidenden Unterschiede zwischen den Deals nicht mehr erkennen“, erläutert Michel. Die Professorin empfiehlt, die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter ganz genau zu erheben und es öffentlich zu machen, wenn die Arbeitszeiten zu lang werden. Zu viel Arbeit sollte nicht mehr als Leistung, sondern als Schande begriffen werden. „Junior Banker, die zu lange arbeiten, müssen öffentlich bloßgestellt werden.“ In einem derart wettbewerbsintensiven Umfeld sei dies der einzige Weg, um von den 100-Stunden-Arbeitswochen wegzukommen.