2013 noch unbekannt, heute in aller Munde: Fintech. Revolution oder Rohrkrepierer? Wir haben elf einflussreiche Fintech-Chefs nach ihren Prognosen für das Jahr 2020 gefragt. Konkret:
Alle jubeln über Blockchain wie z.B. Bitcoins
Die Blockchain-Technik – die Registrierung jeder Bitcoin-Transaktion – stellt nicht gerade eine brandneue Idee dar. Doch erst seit dem zweiten Halbjahr 2015 erscheint die Technologie langsam auf dem Radar der großen Finanzdienstleister. So haben 22 Investmentbanken erst kürzlich in das New Yorker Fintech-Unternehmen R3 investiert, das eine Blockchain-Technologie für die Kapitalmärkte schaffen soll.
„Blockchain wird alles verändern, besonders auf den Finanzmärkten“, prophezeit Leigh Drogen, Gründer und Chef von Estimize, einer Website für Crowdsourcing.
„Wir denken, dass diese Technologien einen ähnlichen Einfluss auf die Finanzdienstleistungen haben werden wie das Internet auf die Medienwelt. Ich weiß, das stellt eine starke These dar, dennoch halten wir sie für zutreffend“, sagt R3-Chef Davit Rutter. „Wenn es richtig gemacht wird, dann kann ein solches Finanzverzeichnis die Architektur der Finanzdienstleistungs-Infrastruktur fundamental verändern. Diese Technologien können revolutionieren, wie Finanztransaktionen ausgeführt, aufgezeichnet, zusammengeführt und berichtet werden – all das mit zusätzlicher Sicherheit, geringeren Fehlerquoten und signifikanten Kosteneinsparungen.“
„Mich würde beispielsweise nicht wundern, wenn einige Blockchain-Technologien nicht bei Wertpapieren und Transaktionen halt machen“, ergänzt der Chef der Tradingtechnologie-Plattform REDI Rishi Nangali.
Das Ende des Filialgeschäfts, wie wir es kennen
Viele Beobachter rechnen damit, dass einige Produkte für den Retailmarkt schnell zu einer Marktsättigung führen werden und es unvermeidlich zu Ausfällen kommen wird. Doch selbst wenn einige Startups untergehen sollten, können die großen Filialbanken nicht weitermachen wie bisher.
„Erträge wie Gebühren für die Abhebung von Geldautomaten, für Auslandsüberweisungen usf. werden wegbrechen, wenn Technologien wie Bitcoin und mobile Zahlsysteme sich in den Mainstream ausbreiten. Dies wird die Institute dazu zwingen, nach neuen Ertragsquellen zu suchen oder höhere Gebühren für Basisdienstleistungen zu verlangen“, warnt Alastair Paterson, Chef des Internetsicherheits-Startups Digital Shadows.
„Die ‚Bank“, wie wir sie kennen, wird aussterben“, sagt Andrew White, Chef von FundApps, das Compliance-Lösungen für die Fondsbranche anbietet. „Eine Generation, die an ,Mobile first‘ gewohnt ist, wird die Filialbanken sterben lassen und den Banken, die keine gute Online-Präsenz besitzen, die Kunden abjagen. Die Fintech-Startups werden überteuerte Bankdienstleistungen zum Frühstück verschlingen.“
„Eine neue Kundengeneration, die sogenannten ‚Digital natives‘, wird sich nicht mit den überkommenen Überbleibseln der Banken aufhalten. Sie werden direkt zu Fintech gehen“, ergänzt Philippe Gelis, Gründer und Chef der Devisenhandelsplattform Kantox.
Die Auslagerung von Cyber-Security
Die großen Banken haben Tausende von Stellen im Bereich IT-Sicherheit geschaffen. Dazu gehören sogar Experten im sogenannten „Friendly hacking“, um Schwachstellen selbst aufzudecken, bevor sie von Kriminellen entdeckt werden. Dies ist nicht nur teuer, sondern wird zunehmend auch vom Fachkräftemangel gebremst.
„Da das Thema Sicherheit immer wichtiger wird und die Kompetenzen immer schwieriger zu finden sind, werden viele Finanzdienstleister Schwierigkeiten bekommen, dies selbst aufzubauen, und Sicherheitsfunktionen zunehmend an Spezialisten auslagern, die die neueste Technologie anbieten“, sagt Paterson und vertraut dabei voll auf sein Produkt.
Prognose-Technologien
Auch das Thema Big Data haben Banken erst kürzlich für sich entdeckt. Noch weiter hinterher hinkt die Branche, wenn es darum geht, diese Prognosetechnologien im Trading einzusetzen – eine Chance, die noch ungenutzt ist.
„Prognosetechnologien werden verändern, wie jeder Trade durchgeführt wird, sowohl für Menschen als auch für Computer“, sagt Drogen.
„Die Banken sitzen noch immer auf riesigen Datenbergen und vermögen es nicht, diese für ihren Geschäftserfolg zu nutzen und gleichzeitig Betrug und Sicherheitsvorfälle zu reduzieren. Neue Unternehmen werden in diese Lücke vorstoßen“, ergänzt Paterson.
Die Monetarisierung von Daten
Auch wenn sich viele Geschichten um Google-Pay ranken, verdient der Internetriese noch immer sein Geld mit Anzeigen, die sich am Browsing-Verhalten der Internetbenutzer orientieren. Laut Huy Nguyen Trieu, der bei der Citigroup Fintech-Unternehmer berät, müssten die Finanzdienstleister erst noch lernen, wie sich Daten zu Geld machen lassen.
„Ich hege großes Interesse an der Monetarisierung von Daten. Mal ganz einfach: Wenn man den Ansatz von Google auf die Finanzdienstleistungen übertragen würde, dann dreht sich alles um das Thema Kreditwürdigkeit“, sagt Nguyen Trieu.
Die Bündelung von Funktionen, die nicht zum Kerngeschäft der Banken gehören
Fälschlicherweise dreht sich die Diskussion meist um das Disruptionspotenzial, die Bedrohung, die von Fintech für das etablierte Bankgeschäft ausgeht. Doch dies stellt nur eine Seite dar. Vielmehr birgt Fintech auch große Chancen, die Kosten von Banken zu verringern. Laut Rutten bedrohen vor allem Initiativen zur Auslagerung von Tätigkeiten jenseits des Kerngeschäfts von Finanzdienstleistern die traditionellen Anbieter.
Die Macht der Massen
Einige Unternehmen wollen die Idee des Crowdsourcings in den Finanzdienstleistungen umsetzen. Dazu zählen etwa Quantopia, ein Unternehmen für Möchtegern-Quants, und Estimize. Ein weiteres Beispiel stellt eToro dar, wobei es sich um eine „Social-Trading“-Plattform handelt, die das Crowdsourcing nutzen möchte, um die Risiken von Investitionen zu vermindern.
Es überrascht kaum, dass die Manager dieser Unternehmen ihrem Ansatz eine große Zukunft verheißen. „Crowdsourcing wird sich neu erfinden und Tonnen von neuen Daten produzieren, was die Entscheidungsgrundlage von Menschen und Computern völlig verändern wird“, prophezeit Drogen von Estimize.
„Ich denke, wir werden viel mehr Leute sehen, die bereit sind, ihre Portfolio- und Tradingdaten im Internet zu teilen und wir werden auch mehr Leute sehen, die ihre Trading-Entscheidungen auf der Grundlage von sozialen Medien und ‚Copy trading‘ fällen“, meint eToro-Chef Yoni Assia.
Die Herausforderung der Endgeräte
Stu Taylor, Chef der Trading-Plattform Algomi rechnet damit, dass sich große Datenanbieter wie Bloomberg oder Reuters in den kommenden fünf Jahren an das neue IT-Umfeld anpassen müssen. „Neuer Content wird das etablierte Geschäftsmodell der Terminal-Anbieter zerlegen. Viele werden zu langsam sein, um mit den dann blühenden Modellen im App-Stil zu konkurrieren“, sagt Taylor.
Der Vorteil des unternehmerischen Ansatzes
Rund 60 Prozent der Fintech-Startups bieten ihre Dienste direkt den Banken und anderen Finanzdienstleistern an. Die Banken tun sich traditionell schwer damit, innovative und neue Produkte auf den Markt zu bringen. Eine kleine spezialisierte Firma könne viel flinker agieren und auf neue Chancen reagieren, meint White von FundApp.
„Wir werden sehen, wie die Etablierten sukzessive Marktanteile an agile Startups verlieren, die Cloud-Technologien nutzen und sich stärker auf Kundenzufriedenheit als auf Profit konzentrieren“, bemerkt White.
Der Siegeszug der Roboter
Automatisierte Analageempfehlungen stellen geradezu ein Paradebeispiel für den Ersatz einer Standardaufgabe der Finanzdienstleister dar. Ein Kunde gibt einfach sein Vermögen und sein Investorenprofil an und ein Algorithmus berechnet Empfehlungen für die Portfoliostruktur. Der Job eines Finanzberaters kann plötzlich schneller, kostengünstiger und womöglich sogar besser von einem Roboter erledigt werden.
Wahrscheinlich werden Client Relationship Manager auch weiterhin die Vermögen von Ultra-high-net-worth-individuals betreuen, doch für die Betreuer kleinerer Kunden stellt diese Entwicklung eine veritable Bedrohung dar.
„Wealth Management für die Laufkundschaft stellt ein Gebiet von Fintech dar, welches bislang nicht abgedeckt wird“, meint Bert-Jan van Essen, der Dragon Wealth Asia in Singapur gegründet hat.
„Ich halte es für vorstellbar, dass Roboter bis 2020 in der Lage sein werden, den Leuten Investmentberatung zu bieten“, sagt auch der Chef des chinesischen Fintech-Unternehmens Stockradar. „Die Fondsbranche verlang jetzt um die 2,5 Prozent Verwaltungsgebühren. Ein Roboter kann dies für 0,5 Prozent erledigen.“