Ich habe meine Karriere Mitte der 90er Jahre im Handelssaal begonnen. Dieser war laut, aufregend und voller Testosteron. Die lautesten und übermütigsten waren die Geldmarkthändler, die noch per Zuruf handelten.
Sie liebten es, ihre Aufträge herauszuschreien und ließen manchen Jungbanker hilflos zurück, der versuchte ihre Aufträge auf einer Tafel zu bannen. Manchmal kam es einem vor als befände man sich auf dem Filmset des Hollywoodstreifens Wall Street. Einer der Händler schien sich sogar für Gordon Gekko höchstpersönlich zu halten. Er stolzierte mit seinen blauen Nadelstreifenhosen übers Parkett, hielt seine breiten roten Hosenträger zwischen den Fingern und fuhr sich gelegentlich mit den Fingern durch seine gegelten Haare.
Der lauteste Tag war, als einer der Trader einen Anruf von George Soros erhielt. Er brüllte mit einer aufgeregten Stimme durch den gesamten Handelssaal: „Ich habe Soros am Telefon und er möchte zwei Meter Kabel kaufen. Wo liegt unser bester Preis?“ Ich hatte keinen Schimmer, worüber er sprach. Wieso sollte Soros Kabel kaufen und wieso ausgerechnet bei einer Bank? Das sollte ich rasch herausfinden…
Von allen waren die Derivatehändler die ruhigsten und einer von ihnen, nennen wir ihn Joe, war der schlaueste. Joe wusste mit seinen Kunden umzugehen, er hatte viel Ahnung von Mathematik und schrieb seine eigene Model- und Kursfindungssoftware. Dagegen beschäftigten die übrigen Händler Quants und Softwareentwickler, die ihnen halfen; doch Joe war eine Ein-Mann-Band. Dabei hielten nicht nur die Kollegen ihn für einen großartigen Trader, sondern er sich selbst auch. Und das nicht grundlos.
Doch eines Tages gelangte Joes Erfolgswelle an ihr abruptes Ende und er wurde nie wieder gesehen. Ich fragte eine Traderin: „Was ist mit Joe passiert?“ Sie sagte mir, dass er entdeckt und gefeuert wurde. „Aber wobei?“
Es schien als wenn die Stimmaufzeichnung ergeben hatte, dass Joe einen Kurs geboten hatte, der zu der Frage führte: „Joe, kannst Du den Preis prüfen?“ und Joe hatte lediglich geantwortet: „Der Kurs ist gut. Sind wir hier fertig?“ Der andere Trader insistierte aber: „Bist Du sicher, dass Du zu dem Kurs handeln möchtest?“ Joes Antwort kam umgehend: „Der Kurs ist gut“ und „Dann OK.“
Damit war die Sache vorbei – im wahrsten Sinne des Wortes. Joe hatte nicht verstanden, dass der andere Trader ihm helfen wollte. Joes Rechnung war falsch und kostete der Bank eine Menge Geld. Joe ist über sein eigenes Ego gestolpert.
Doch was ist ein Ego überhaupt? Beim Ego handelt es sich um eine Selbstwahrnehmung, die in Ihrem Kopf entsteht und definiert, wer Sie sind. Sie stützt sich auf Ihre Erfahrungen und die Äußerungen anderer Menschen über Sie. Sie erkennen Sie an Stellungnahmen, die Sie über sich selbst treffen wie z.B.: „Ich bin ein großartiger Trader.“ Dabei sucht Ihr Ego beständig nach Selbstbestätigung und lehnt alles ab, was damit nicht in Einklang steht.
In Joes Fall verhinderte sein Ego, dass seine Kursfeststellung längst nicht so gut war, wie er selbst glaubte und dass er den Kurs lieber noch einmal nachrechnen sollte. Er dachte wohl: „Wie kann ich daneben liegen? Ich habe schon die Kurse von hunderten von Deals ermittelt und ich habe immer richtig gelegen.“ Bei Joes Beispiel handelt es sich um einen extremen Fall, aber wir alle haben schon einmal erlebt, wie uns unser Ego einen bösen Streicht gespielt hat.
Wie kann man aber verhindern, dass man am eigenen Ego scheitert? Sie müssen einfach auf das Feedback hören, das Sie erhalten. Ich weiß nicht, was Joe heute macht, aber es stellt schon eine Schande dar, dass er nicht zugehört hat.
Nick Foster hat über 20 Jahre im Banking gearbeitet. Heute ist er Partner einer Personalberatungsfirma in der Londoner City. Er möchte, dass andere an seinen Erfahrungen teilhaben und bloggt wöchentlich auf nicholas-foster.com.