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Vom DDR-Bunker zu Java: Impressionen und Wachstumspläne aus der Berliner Fintech-Szene

Ein Mann mit Schutzanzug, Helm und Gasmaske steht seelenruhig in einem Bunker in Berlin-Mitte und wartet auf den bevorstehenden Angriff – der nicht kommen wird. Es handelt sich auch nur um einen Pappkameraden oder genauer um eine Kleiderpuppe, die über einen angesagten Partykeller in der Klosterstraße wacht, einem Bunker aus der DDR-Zeit.

„Früher residierte in diesem Gebäude die DDR-Post und vom Bunker aus wurden Telefonate abgehört“, erzählt Valentin Stalf, Mitbegründer der Fintech-Bank N26. Der Jungunternehmer sitzt an einem Konferenztisch einige Stockwerke über dem Bunker. „Unsere Büros waren früher so etwas wie ein Ballsaal.“ An die sozialistische Vergangenheit erinnert nur noch wenig. Vielmehr zieren kryptische Zeichen- und Zahlenfolgen in weißer Farbe den grauen Teppichboden. „Das ist unser Code“, erzählt der gebürtige Österreicher und Wahlberliner, der statt Anzug und Krawatte einen grauen Kapuzenpulli trägt.

Die N26 Bank bietet eine App, mit der sich die wichtigsten Bankgeschäfte mit wenigen Fingerschnippen erledigen lassen. Der 31jährige zieht sein Smartphone aus der Tasche und zeigt, wie seine Ausgaben automatisch nach Kategorien sortiert werden. „So behalten Sie immer den Überblick“, sagt der Absolvent der Uni St. Gallen. „Unser neuestes Produkt ist ein Verbraucherkredit, den Sie in Realtime beantragen können“, berichtet Stalf stolz. Nach wenigen Klicks beginnt die App auf seinem Smartphone zu laden. „Das geht eigentlich noch schneller. Allerdings glauben viele Leute nicht, dass es seriös zugeht, wenn es zu schnell läuft.”

Unterdessen erreicht Stalf den Empfangsraum. Durch den umgebauten ehemaligen Ballsaal huschen junge leger, aber schick gekleidete Menschen, die so gar nicht an die graue DDR erinnern. Stattdessen wird der Raum durch einen Nachbau der Berliner Mauer geteilt. „Es handelt sich um kein Original. Das haben wir uns vom Filmstudio in Babelsberg anfertigen lassen“, erzählt Stalf. Eine Treppe führt hinauf zum „Gaming Attic“. Spielzeuge wie der obligatorische Kickertisch scheinen zum Digital-Geschäft zu gehören wie die Krawatte zum konventionellen Banker.

Nur neun Monate bis zu Banklizenz

Laut Stalf habe N26 etwa neun Monate benötigt, um eine eigene Vollbankenlizenz zu erhalten. „Wir können über die Arbeit der BaFin nur Positives sagen. Die haben wirklich sehr professionell gearbeitet“, meint Stalf. Der Unternehmensgründer hält es für richtig, dass es eine strenge Regulierung gibt und für Fintech-Start-Ups kein „Sandkasten“ mit reduzierter Regulierung wie in Großbritannien existiert.

„Schon ein Start-up aufzuziehen, stellt eine Herausforderung dar. Die Regulierung erschwert die Sache zusätzlich“, erzählt Stalf weiter. Da ist von Vorteil, dass sein Kompagnon Maximilian Tayenthal promovierter Jurist und CFA-Charterholder ist und einige Jahre für die Wiener Städtische Versicherung gearbeitet hat. Entsprechend konnten viele juristische Aspekte des Banklizenz-Antrags selbst erledigt werden. „Wenn Sie für die anwaltliche Beratung einen Stundensatz von 500 Euro zahlen, dann haben sie nach zehn Stunden schon 5000 Euro ausgegeben. Das lässt sich von einem Start-up kaum tragen“, sagt Stalf.

Das Berliner „Ökosystem” ist für Fintech-Szene entscheidend

Der N26-CEO denkt, dass sich Regulierung und Innovation in der Fintech-Branche gegenseitig bedingen. „Durch die eigene Banklizenz können wir mit unserem Geschäftsmodell schneller auf regulatorische Veränderungen reagieren, als wenn wir von einer Partnerbank abhängig wären.“

Eine der größten Herausforderungen der Fintech-Branche stelle das IT-Personal dar. „Rocket Internet hat viel für den IT-Start-Up-Standort Berlin geleistet“, betont Stalf, der selbst gut ein Jahr für den Konzern der Samwer-Brüder gearbeitet hat und dort auch das Start-up-Geschäft erlernte. Zuvor hatte er Praktika in M&A der Deutschen Bank und der Strategieberatung Roland Berger absolviert. „Vor allem Zalando hat viele Experten nach Berlin gezogen. Das ist auch das Ökosystem, von dem wir leben.“ Deswegen haben die beiden Wiener Stalf und Tayenthal N26 auch in der deutschen und nicht in der österreichischen Hauptstadt gegründet. Berlin sei überdies von Personal-, Büro- und Lebenshaltungskosten günstiger als die meisten vergleichbaren Metropolen.

Einer der besten Ausblicke von Berlin

Dem Berliner „Ökosystem“ gilt es einiges zu bieten. „Die Dachterrasse bietet vermutlich eine der besten Aussichten von Berlin“, behauptet Philipp Blankenagel, Head of Communications der Solarisbank und zeigt auf die Skyline: „Da ist der Berliner Dom, dort der Bundestag und hier die Humboldt Universität. Man kann von der Terrasse eine Stadtführung machen.“ Tatsächlich befinden sich die Büros direkt an der Uferpromenade östlich der Berliner Museumsinsel mit Blick gen Westen. Die große Terrasse ist voller weiß-blau gestreifter Sessel, die man eher in einer angesagten Lounge als auf einem Bürogebäude erwarten würde. In der Ecke steht ein überdimensionierter Strandkorb im gleichen Design.

Unterdessen hat es sich Blackenagel an einem Tisch gemütlich gemacht. „Die Solarisbank bietet die API-Schnittstellen, die Unternehmen für ihr digitales Geschäft benötigen“, sagt er. Dies ermögliche der Digitalbranche Bankdienstleistungen wie z.B. die Vergabe von Konsumentenkrediten oder Zahlungskarten in ihre Websites zu integrieren. Während konventionelle Banken noch mit überalteten IT-Lösungen zu kämpfen hätten, sei die Solarisbank auf der Höhe der Zeit. Auch sie hat ihre Banklizenz in Rekordzeit erreicht. „Das hat gerade einmal neun Monate gedauert“, sagt Blankenagel.

Unterdessen drängen rund 20 junge Leute staunend auf die Dachterrasse. „Das sind die Neustarter von Finleap. Die machen jeden Monat eine Tour durch die verschiedenen Büros“, erzählt Blankenagel. Auch die Solarisbank wurde vor rund zwei Jahren vom Berliner Company Builder Finleap gegründet, habe sich mittlerweile aber teilweise von seinem Company Builder bzw. Inkubator abgenabelt. Solche Unternehmen bieten Geld, Gründungs-Know-how, aber auch die erforderliche Infrastruktur wie Buchhaltung, Personalabteilung, Lohnbuchhaltung etc. an und spielen damit beim Aufbau des Berliner Fintech-Universums eine zentrale Rolle.

Finleap will vier bis sechs Ventures pro Jahr gründen

„Wir wollen jedes Jahr vier bis sechs Ventures an den Start bringen und stellen aktuell jeden Monat etwa 25 neue Mitarbeiter ein“, erzählt Kathrin Pawelke, die gerade ihre Stelle als Head of People & Organization bei Finleap angetreten hat. Gesucht werde beispielsweise für die Bereiche Founder /Co-Founder, Tech, Produktmanager, Business Sales und Marketing – um nur einige zu nennen. „Wichtig ist, dass unsere Newcomer eine hohe Affinität zur digitalen Welt mitbringen. Sie können hier schnell Verantwortung übernehmen“, sagt Pawelke. Über mangelndes Interesse kann sich der Company Builder nicht beklagen. „Wir erhalten derzeit jeden Monat rund 1000 Bewerbungen“, erzählt Pawelke. Dennoch herrsche ein veritabler Mangel z.B. an Entwicklern und Produktmanagern.

Durchschnittsalter der Mitarbeiter in der Fintech-Szene liegt bei Anfang 30

Derzeit beschäftigt Finleap an die 450 Mitarbeiter. Diese sind jedoch nicht nur bei dem Inkubator selbst, sondern auch bei den Start-ups beschäftigt, von denen einige in den Finleap-Büros in der Rosa-Luxemburg-Straße nahe der Volksbühne residieren. „Einige von unseren Ventures befinden sich noch im ‚Stealth Mode‘“, erläutert Pawelke. Dabei handelt es sich um die Entwicklungsphase, in der die Start-ups noch nicht sichtbar am Markt unterwegs sind. Der Mitarbeiterschnitt liege bei Anfang 30.

Entsprechend bevölkert sind die Räumlichkeiten, die eher einem großen Loft als einem Bürogebäude gleichen. Nicht ganz ins Bild passen vier bis fünf Telefonzellen, in den man allerdings vergeblich nach einem Münztelefon sucht. Vielmehr tummelt sich in einer ein Endzwanziger mit Laptop auf den Knien und einen gewaltigen Kopfhörer auf dem Kopf. „Die Telefonzellen dienen dazu, wenn jemand mal in Ruhe telefonieren oder arbeiten möchte“, kommentiert Pawelke.

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