Banker heulen gerne. Wer das nicht glaubt, muss nur das Herrenklo aufsuchen. Ich weiß, wovon ich spreche. Denn ich selbst habe wiederholt auf der Toilette geweint. Doch wie kommt es überhaupt so weit? Nachdem ich 18 Jahre im Banking gearbeitet habe, kenne ich die Gründe:
Sie wurden gefeuert
Beginnen wir den offensichtlichen und schlimmsten Fällen: Vor die Tür gesetzt zu werden, trifft einen schon sehr. Da führt kein Weg daran vorbei. Ich habe Leute gesehen, die ihren Arbeitsplatz verwüsteten, beschämt davonliefen oder einfach nur vor sich hinstarrten. Ich kann mich an meinen Kollegen Jim erinnern, der seine Freundin angerufen hat, um etwas Trost zu finden. Sie hat sich noch am Telefon vom ihm getrennt – wie herzlos.
Sie wurden bei der Beförderung übergangen
Das ist mir selbst widerfahren und ich habe geheult. Ich sollte eigentlich 2010 zum Managing Director befördert werden. Doch einige Wochen vor der Beförderungsrunde wurde ich ins Büro meines Vorgesetzten bestellt. Er teilte mir mit, dass ich übergangen werde. Bis nachhause schaffte ich es noch, doch dann bin ich in den Armen meiner Frau in Tränen ausgebrochen. Vor mir scheiden ließ sie sich bisher nicht.
Sie erhalten keinen Bonus
Manchmal erhalten Banker einen „Donut“ als Bonus, wie wir Amerikaner sagen – also gar nichts. Sie marschieren in ein Büro und glauben genug zu bekommen, um sich einen neuen Porsche zuzulegen. Stattdessen müssen Sie mit dem sprichwörtlichen Donut in der Hand davonziehen.
Das kommt häufiger vor als man denkt. Das Management ist erbarmungslos. Die Tränen zeugen von machtloser Enttäuschung. Vielleicht stehen sie auch für das Bedauern, so hart gearbeitet zu haben.
Sie werden gemobbt
Dies stellt übrigens den häufigsten Grund dar, wieso auf der Herrentoilette geweint wird. Trotz allem Gerede über Political Correctness gehört Mobbing zum Alltag.
Ihr Telefon klingelt und Ihr Vorgesetzter ruft Sie in sein Büro. Sie treten ein und glauben, es gehe um das nächste Projekt oder den nächsten Deal. Und dann geht das Mobbing los. Irgendwas haben Sie vermasselt. Er ist verärgert und lässt seiner Wut freien Lauf. Ihr Ego wird geschlagen, getreten und zerstört. Sie schaffen es noch durch den Flur, auf der Toilette aber brechen Sie in Tränen aus.
Sie werden nicht zum Kunden mitgenommen
Dann gibt es da auch noch die kleineren Anlässe. Haben Sie schon einmal an einem Kundenmeeting teilgenommen, wo drei Leute von der Kundenseite 13 Bankern gegenüber saßen? Ich bin mir sicher, dass Sie solche Situationen kennen.
Doch wieso sitzen dort so viele Banker herum? 13 in einem Raum? Es geht ums Ego. Es ist so, als ob jeder für seine Anwesenheit eine Trophäe erhielte.
Das Problem dabei: Ausgerechnet der junge Kollege, der das gesamte Meeting vorbereitet und die Arbeit erledigt hat, der ist nicht dabei. Der sitzt an seinem Arbeitsplatz, jongliert mit irgendwelchen Zahlen in Excel und hat Mühe, seine Tränen zu unterdrücken. Er fragt sich, wieso er nicht dabei sein darf.
Das hat wohl jeder Investmentbanker schon einmal erlebt.
Doch was lernen wir aus all dem – außer uns eine dicke Haut zuzulegen? In meinem zehnten Berufsjahr habe ich eine Ausgabe der römischen Philosophen Mark Aurel und Seneca in die Hände bekommen. Die Stoiker haben mir wirklich geholfen.
Wenn auf Ihr Ego eingetreten wird, dann sollten Sie es an sich abperlen lassen und nach Warren Buffetts „Inner Scorecard“ googeln. Und übrigens: Banker dürfen auch einmal weinen.
Der Autor arbeitete als Managing Director bei Goldman Sachs und bloggt auf „What I Learned on Wall Street“ (WilowWallStreet.com).
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