30 Jahre hat Andrew Shortland im Aktienhandel der Londoner City verbracht. Daher hegt er keinerlei Illusionen, wie die meisten Leute ihre Investment Banking-Karriere beenden: „Es gibt drei Wege, das Banking zu verlassen: Sie sterben, werden gefeuert oder in Handschellen abgeführt“, lacht er. „Doch es gibt eine vierte Option, die allerdings rar ist: Aus eigenem Antrieb zu gehen.“
Die letzten acht Jahre seiner Karriere hat Shortland das internationale Aktiengeschäft von Jefferies in London geleitet. Im März ist er gegangen. Nach einigen Monaten Schifahren, Bergsteigen und Entspannen mit der Familie hat er jetzt sein eigenes Unternehmen aufgemacht: Andrew Shortland Associates. Er wurde von Ed Keen ersetzt, der vorher bei der Bank das Aktiengeschäft in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika führte.
Shorty, wie Shortland bei Jefferies genannt wurde, erzählt, dass Bankchef Rich Handler und Aufsichtsratschef Brian Friedman eine überschwängliche E-Mail an seinem letzten Arbeitstag herumgeschickt hätten. Dennoch war es kein ungetrübter Abschied.
„Es gab einige Dinge in meinem Privatleben, die mich zu einer Neubewertung bewegt haben. Eines meiner Kinder erkrankte schwer und drei Freunde von mir landeten im Gefängnis“, erzählt er.
Shortland hat drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen. Bei seinem mittleren Sohn wurde eine akute aplastische Anämie diagnostiziert, eine Krankheit, bei der das Rückenmark nicht genügend Blutzellen produziert. Glücklicherweise erholte er sich dank einer Knochenmarkspende seiner Schwester wieder.
Unterdessen wurden drei Aktienhändler von Jefferies, Hamish Maclellan, James Hyde und Phillip Jenkins, 2015 des Steuerbetrugs für schuldig befunden und zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihre Berufung wurde abgelehnt.
All dies hat Shortland zum Gehen bewogen. In seinen letzten beiden Jahren bei Jefferies habe er einige harte Lebensentscheidungen getroffen. „Wir hatten eine Fortbildung bei Mckinsey. Das brachte mich dazu, über meine persönliche Entwicklung, meine Führungsqualitäten und mein Lebensglück nachzudenken“, erzählt er.
Das Überleben im Handelssaal
Obgleich Shortland immerhin 30 Jahre im Banking verbracht hat, ist er gar nicht so viel herumgekommen. Mitte der 80er Jahre habe er seine Karriere bei der Londoner Börse mit „Teekochen“ für 6000 Pfund im Jahr begonnen. Anschließend hat er drei Jahre für Morgan Stanley gearbeitet, bevor er 1992 zu Bear Stearns wechselte, wo er es sukzessive bis zum Leiter des internationalen Aktienhandels brachte.
Er würde wahrscheinlich noch heute für Bear Stearns arbeiten, wäre die Bank nicht im Vorfeld der Finanzkrise zusammengebrochen. Er gehörte zu einem Team von etwa 30 Aktienprofis, die von Jefferies zum Aufbau eines neuen Aktienteams in London übernommen wurden. Im Verlauf der folgenden fünf Jahre sei dieses Team auf über 300 Mitarbeiter angewachsen.
Der elektronische Aktienhandel sei besonders weit fortgeschritten und die Investmentbanken haben im Zuge der Digitalisierung ihre Aktienhändler dezimiert. Laut Shortland würden Mitarbeiter nur lange in der Branche überleben, wenn sie sich Ansehen erwerben und gute Kundenbeziehungen hätten.
„Sie sollten immer Ihre Reputation im Auge behalten“, betont er. „Die Hauptemotionen auf dem Parkett sind Gier und Angst und ich habe viele Leute getroffen, deren Urteilsvermögen durch Gier vernebelt wurde. Sie nutzen Abkürzungen und denken häufig nicht mehr klar. Im Banking müssen Sie aber langfristige Kundenbeziehungen aufbauen. Wer wohlüberlegt und aufrecht handelt, der kann eine lange und fruchtbare Karriere erleben.“
Mit seinem neuen Ein-Mann-Unternehmen will er eine Reihe von Dienstleistungen anbieten – vom Zusammenbringen kapitalhungriger Unternehmen mit potenziellen Investoren bis zur Beratung von Investmentbanken. Der Teil „Associates“ im Unternehmensnamen geht auf seine rund 4500 Kontakte zurück, mit denen er zusammenarbeitet.
„In Investmentbanken sieht man kaum graue Haare, weil viele Managing Directors gefeuert wurden“, erzählt er. „Ich würde gerne eine unabhängige Beratung anbieten, welche Geschäftsbereiche Banken schließen, ausbauen oder beschneiden sollten.“
In seinen letzten anderthalb Jahren hat Shortland bei Jefferies als interner Consultant gearbeitet. Dabei habe er vor allem das japanische Aktiengeschäft neu aufgestellt, hat einige Mitarbeiter fortgebildet und das Asiengeschäft ausgebaut. Meist müsse man zunächst die richtigen Leute finden, um ein Geschäft neu aufzustellen.
„Sie müssen sich das Management und die Kultur ansehen. Vielleicht brütet ein Manager ein toxisches Umfeld aus, in dem niemand gerne arbeitet. Er will nicht abtreten, wodurch die Geschäftseinheit zunehmend stagniert“, sagt er. „Ich schaue mir auch die Diversität des Teams an. Das Investment Banking wird immer noch zu sehr von Männern dominiert.“
Immer noch ein guter Karriereeinstieg
Alle seine Kinder machen es Shortland nach und wollen ins Banking. Doch ist das überhaupt eine gute Idee?
„Das Aktiengeschäft wächst nicht gerade“, gibt er zu. „Alle meine drei Kinder wollen ins Investment Banking. Mein Rat an sie lautet: Das beste Segment des Investment Bankings und das, welches in den kommenden Jahren noch zulegen wird, ist das Advisory-Geschäft. Die Brücke zwischen Unternehmen und Kapital wird immer benötigt werden.“
Obgleich Shortland dem Investment Banking den Rücken gekehrt hat, hält er es immer noch für den rechten Ort, seine Karriere zu beginnen. „Im Investment Banking erhalten Sie immer noch die beste Ausbildung. Wenn Sie gehen wollen, dann eröffnet es Ihnen eine Myriade von Chancen“, sagt er.
Er habe im Laufe der Jahre hunderte von Analysten und Tradern in Vorstellungsgesprächen getroffen. Er habe nie eine Uni besucht, sondern gleich nach der Schule in der City angefangen. „Ich war dankbar, einen Job gefunden zu haben. Mitte der 80er Jahre waren eine schwierige Zeit. Durch die Beschäftigungsperspektive habe ich meinen Plan, zur Royal Airforce zu gehen, aufgegeben“, erzählt Shortman.
Mittlerweile stammt jeder junge Investmentbanker in der Londoner City von einer Top-Uni. Shortman hält dies vor allem für einen Filter, den die Personalabteilungen einsetzen, um die Massen an Bewerbern auszusieben. Er selbst habe immer versucht bei Vorstellungsgesprächen etwas Ungewöhnliches zu finden.
„Ich habe schon Leute getroffen, die in einem gesamten Vorstellungsgespräch über nichts anderes als Banking gesprochen haben“, klagt er. „Einige meiner Kollegen haben die Kandidaten sogar mit komplizierten Mathefragen bombardiert. Das war aber nie mein Ansatz. Ich möchte mich in ihrer Gegenwart ungezwungen fühlen. Wenn sie nicht gelassen sein können, dann werden sie im Umgang mit den Kunden Schwierigkeiten bekommen. Ich möchte, dass sie sich wohlfühlen, damit ich ihre wahre Persönlichkeit erkennen kann.“
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