Die Jobchancen verlagern sich rasant von der Themse nach Kontinentaleuropa. Das beste Beispiel stellen die Aktivitäten von Goldman Sachs dar. Die 200 bis 600 Stellen, die die Bank nach Frankfurt verlagern möchte, stellen dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Erst in der vergangenen Woche hat Goldman Sachs angekündigt, die Zahl ihrer Investmentbanker in Mailand zu verfünffachen: von 20 auf über 100 Leute. Gleichzeitig scheint es Pläne zu geben, 40 „Senior Banker“ aus London nach Mailand, Frankfurt, Paris, Madrid und Stockholm zu verlegen.
Damit wendet sich die US-Bank sukzessive von ihrer Hub-Strategie ab, die seit den 2000er Jahren ihre Einstellungspolitik bestimmte. Demnach sollten Synergien gehoben und Kosten gesenkt werden, indem möglichst viele der europäischen Angestellten an ihrem zentralen Standort in London konzentriert wurden. Diese Abkehrt erlaubt es vielen kontinentaleuropäischen Bankern ohne einen Arbeitgeberwechsel in ihre Heimat zurückzukehren.
„Zwischen Februar 2018 (nach der Bonuszahlung) und September (dem Schulbeginn) werden Sie viele Leute sehen, die nach Mailand gehen“, meint ein italienischer Managing Director. „Im ersten Quartal 2019 wird es eine weitere Welle geben – je nachdem, wie die Brexit-Verhandlungen verlaufen.“
Die Pläne befinden sich noch ganz am Anfang. Dennoch wird erwartet, dass als erstes Managing Directors und Vice Presidents wechseln werden. Falls auch jüngere Teammitglieder betroffen sein werden, dann wohl erst später. Die Banken könnten natürlich auch einfach in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mehr Absolventen einstellen, um so den drohenden Juniorbedarf im Zuge des Brexits aufzufangen. Unter den jungen italienischen Investmentbankern in London macht sich bereits Enttäuschung breit. „Ein guter Teil von uns würde gerne nachhause zurückkehren“, erzählt ein italienischer Analyst aus der Investment Banking Division von Goldman Sachs.
Nur 30 Investmentbanker in Paris
Noch in den 90er Jahren hatte die US-Bank vergleichsweise große Niederlassungen verteilt über ganz Westeuropa unterhalten. Nach der Jahrtausendwende wurde das Personal in den kontinentaleuropäischen Niederlassungen minimiert. So soll die Pariser Goldman Sachs-Niederlassung gerade einmal 30 Investmentbanker zählen. Zwar kann das Pariser Team notfalls auch Deals eigenständig akquirieren und durchführen, oft jedoch wird es von paneuropäischen Sektorteams aus London unterstützt.
Da Goldman Sachs große mittelständische Unternehmen als lukrative Kundengruppe erkannt hat, dürfte sich der Trend weiter verstärken. Motto: „Lokale Banker für lokale Kunden.“ Die Äußerungen des Co-Heads Investment Banking John Waldron legen nahe, dass künftig auch weiterhin die ganz großen Deals von London, mittlere mit einer Marktkapitalisierung von 1 bis 5 Mrd. Dollar aber von den kontinentaleuropäischen Niederlassungen betreut werden.
Einige Führungskräfte aus London sehen in dieser Entwicklung eine Chance, nachhause zurückzukehren. „Die Leute wollen nach Mailand ziehen, um das meiste aus den Steuervergünstigungen für Nichtdomiszilierte herauszuholen, die die italienische Regierung zu Jahresbeginn eingeführt hat“, berichtet der italienische MD. Demnach sind Leute, die in Italien wohnen, für eine Einmalzahlung von 100.000 Euro für mehr als die Hälfte ihrer ausländischen Einkommen von der Steuer befreit. Dies setzt natürlich voraus, dass die betroffenen Goldman Sachs-Manager auch aus dem Ausland bezahlt werden. Einige wollen tatsächlich ihre Familien in London belassen und zeitweise von Italien aus arbeiten.
Doch nicht alle Italiener sind von derartigen Aussichten begeistert. Laut einem italienischen Private Equity-Experten in London würden von den neuen Steuerprivilegien ohnehin nur Leute profitieren, die sich aufs Altenteil zurückgezogen hätten. Außerdem sei der Steuerpolitik der italienischen Regierung kaum zu trauen. „In Italien erzählen Regierungen erst das eine und kommen dann kommen sie auf einen zurück und verlangen eine Erstattung. Langfristige Planungen sind sehr schwierig.“ Bislang sei die Politik in London deutlich verlässlicher gewesen. „Großbritannien war ein pragmatisches und stabiles Land“, meint er. Doch mit dem Brexit weiche der traditionelle Pragmatismus zunehmend den radikalen Ideologien. „Das ist die wirkliche Gefahr, vor der sich Italiener in London fürchten.“
250 bis 300 neue Jobs in Warschau
Die meisten Jobs gibt es unterdessen in Warschau. In der polnischen Hauptstadt will Goldman Sachs 250 bis 300 Leute einstellen und damit das bisherige Personal um 40 bis 60 Prozent steigern. Im Unterschied zu den westeuropäischen Standorten handelt es sich hier um Middle und Back Office und nicht um Front Office-Jobs. Der Aufbau wurde bereits vor dem Brexit-Referendum 2011 begonnen und steht damit in keinem direkten Zusammenhang mit der neueren politischen Entwicklung. Laut Brent Watson, dem Chef der Warschauer Niederlassung, plane Goldman Sachs schon lange, den Standort Polen auszubauen, um eine „Rund um die Uhr-Betreuung“ ihrer Kunden sicherzustellen.
Derzeit sind in Warschau 60 Stellen offen, während es im ungleich größeren London gerade einmal 100 sind. Damit dürfte Warschau schneller wachsen als jeder andere Goldman Sachs-Standort in Europa – und das unabhängig vom Ausgang des Brexits. Laut Watson wolle die Bank das Gros dieser Jobs mit örtlichen Kandidaten besetzen und schaue sich daher intensiv an den Universitäten des Landes um.