Arjun Sofat wünschte sich nichts mehr als ein Investmentbanker zu werden. Noch während seines Bachelor-Studiums der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Nottingham, das er mit Auszeichnung abschloss, absolvierte er drei Praktika. Tatsächlich durfte er in der Investment Banking Division (IBD) einer europäischen Großbank in London anfangen. Doch Sofat verbrachte mehr Zeit mit der Suche nach der Einstiegschance als im Job selbst. Nach nur 20 Monaten ist er wieder abgesprungen, womit er keinen Einzelfall darstellt.
„Ich kann mit Sicherheit sagen, dass 80 Prozent meines Analystenjahrgangs gegangen sind“, versichert Sofat. „Ich kenne keinen, mit dem ich angefangen habe, der jetzt noch bei der Bank arbeitet.“
Dieses Phänomen kennen die meisten Banken in London oder Frankfurt. Obgleich sie hunderttausende von Bewerbungen erhalten, können sie nur wenige Leute über längere Zeit halten. Für eine große Zahl der ehrgeizigsten und intelligentesten Studenten scheint das Investment Banking nicht mehr als ein Karrieresprungbrett zu sein – gewollt oder ungewollt.
Besonders virulent ist das Problem in Sofats Bereich, im Geschäft mit M&A, Aktien- und Anleiheemissionen (IBD). Wie Sofat geht ein Associate von Goldman Sachs davon aus, dass 80 Prozent seines Analystenjahrgangs nach einigen Jahren abgesprungen sind. Dagegen falle die Absprungrate im Wertpapierhandel mit etwa 60 Prozent geringer aus.
Der Hauptgrund für die hohe Absprungrate in der IBD besteht im frühen Burnout der jungen Investmentbanker. Trotz aller wortreichen Beteuerungen der Banken zu begrenzten Arbeitszeiten bleibt der Job doch eine arge Plackerei. „Es gab eine ganze Reihe von Fällen, bei denen ich 24 Stunden durchgearbeitet habe“, bestätigt Sofat, der im Februar 2017 abgesprungen ist, als solche Praktiken eigentlich längst abgestellt worden sein sollten. „Wir sind um 9 Uhr bei der Arbeit erschienen und am nächsten Morgen um 9 Uhr für eine Dusche nachhause gegangen, nur um anschließend wieder zurückzukommen. Ich kann mich erinnern, wie ich mich gefreut habe, wenn ich sechs Stunden Schlaf bekam.“
Wie die meisten jungen Banker kann auch Sofat ein Lied von gestrichenen Urlaubsplänen und zerfallenden Freundschaften singen. „Die Erwartung war, dass Sie den Urlaub nicht nehmen, wenn es Ihnen gefällt.“ Facebook hat die Sache nur noch schlimmer gemacht. „Auf den sozialen Netzwerken konnte man genau sehen, dass alle anderen auch noch auf waren.“
Die Arbeitszeiten stellen allerdings nicht das einzige Problem dar. Für viele haben sich ihre Erwartungen an den Job einfach nicht erfüllt. „Ich wollte wieder mit meiner kreativen Seite in Kontakt kommen“, erzählt Glenn Regis, der anderthalb Jahre, nachdem er als Anleihehändler bei der Bank of America Merrill Lynch angefangen hatte, wieder abgesprungen ist. Als er sich im Handelssaal umschaute, war er von dem vergeudeten Potenzial schockiert, so sagt er. „Unsere Fähigkeiten konnten anderswo besser eingesetzt werden.“
Wie Sofat wusste auch Regis, worauf er sich eingelassen hatte – oder hätte es zumindest wissen können. Immerhin hatte er vorher bereits ein dreimonatiges Praktikum bei der Bank of America Merrill Lynch absolviert. Noch heute interessiert er sich am Marktgeschehen und „wie die Dinge laufen“, aber nachdem er 18 Monate mit untergeordneten Arbeiten verbrachte, hatte er genug. „Viele Leute, die im Banking anfangen, sind sehr intelligent, aber die Arbeit ist nicht sehr stimulierend und sie können ihre Intelligenz nicht einbringen. Ich denke, ich nutze mein Gehirn wesentlich intensiver, seitdem ich gegangen bin.“
Regis hat die Bank of America Merrill Lynch im Februar 2018 verlassen. Mittlerweile betreibt er die Crowdfunding-Website „creatyve“. In Kürze will er die Website an den Start bringen und hofft auf Unterstützung seiner ehemaligen Kollegen. „Im Handelssaal gibt es eine Menge Leute, die nach Investitionsmöglichkeiten für ihr Geld suchen – das kann ihnen weiterhelfen.“
Auch Sofat betätigt sich nach seinem Absprung unternehmerisch. Einige Monate nach seinem Abgang gründete er das Unternehmen „Free Soul“, welches Nahrungsergänzungsmittel für Frauen anbietet. „Als mein Vater krank wurde, verlor meine Mutter ihre Energie. Ich habe mit führenden Ernährungsexperten daran gearbeitet, um Proteine zusammenzustellen, die Frauen helfen“, erzählt Sofat. „Einige meiner Freunde arbeiten in Finance und sagen mir, dass es auch ihnen hilft.“
Obgleich Regis und Sofat dem Banking den Rücken gekehrt haben, bedauern sie ihre Zeit darin nicht. „Ich habe beinahe zwei Jahre im Handelssaal gearbeitet und es war gut“, sagt Regis. „M&A lehrt einem eine starke Arbeitsethik, die einem auch anderswo weiterhilft“, ergänzt Sofat. „Ich bedauere nicht, in der IBD gearbeitet zu haben. Was ich allerdings bedauere, ist all der Kaffee, den ich in dieser Zeit getrunken habe.“