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GASTBEITRAG: Was Londoner (und Frankfurter) Banker wirklich über Paris wissen müssen

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Als Bankerin arbeite ich für eine französische Großbank in Paris. Das mache ich schon seit über zehn Jahren und ich habe den Eindruck, dass es meine Pflicht ist Londonern die Wahrheit über Paris zu erzählen. Viele denken bei Paris immer noch an Chansons und Baguettes, was mit der Realität wenig zu tun hat. Persönlich bin ich bereit nahezu alles zu machen, nur um hier wegzukommen.

Ein anderer französischer Banker, der schon vor 20 Jahren den Abflug gemacht hat, hat bereits einen Artikel auf dieser Website veröffentlicht. Obgleich ich mit vielem, was er geschrieben hat, übereinstimme, muss ich ihm doch sagen, dass er sich getäuscht hat. Paris ist heute noch schlimmer als damals. Er äußert sich sehr kritisch zu den Steuern, doch für mich stellen sie hier nicht das größte Problem dar.

In der Selbstvermarktung macht Frankreich einen exzellenten Job. Paris lebt heute noch von ihrem alten Glanz, tatsächlich ist die Stadt aber voller sozialer Konflikte, mit endlosen Pendelzeiten und grauenvollen Gehältern. Es herrscht auch eine mangelnde soziale Stabilität, die die besser ausgebildeten Leute wie mich zum Wegzug treibt. Und ich bin wahrlich kein Einzelfall. Laut einer jährlichen Umfrage unter Pariser Berufstätigen wollen 84 Prozent von ihnen wegziehen.

In den vergangenen anderthalb Jahren bin ich in Paris gleich dreimal Opfer von Gewalt geworden. Einmal sogar um 18 Uhr inmitten der Hauptstadt. Für Banker ist das Leben viel gefährlicher als früher, weil die Banken mit ihren Hauptsitzen an die Peripherie umgezogen sind, die Leute normalerweise meiden. BNP Paribas unterhält beispielsweise heute Bürogebäude am Boulevard Macdonald im 18. Arrondissement und einen zweiten in Pantin, einem nordöstlichen Vorort. Die Crédit Agricole hat einen neuen Geschäftssitz in Montrouge im 15. Arrondissement. Einige dieser Orte stehen im Ruf rechtsfreie Orte zu sein. Der Sitz der BNP Paribas befindet sich z.B. gegenüber einem riesigen Schrottplatz. Die Leute wollen einfach nicht in einem solchen Umfeld arbeiten. Sie verspüren keinerlei Sicherheit. Ihnen droht das Handy geklaut zu werden, sobald sie das Büro verlassen.

Sicherlich kann das auch besser sein, wenn Sie z.B. für die Bank of America arbeiten, deren neue Büros sich im achten Arrondissement befinden, das ziemlich zentral liegt. Allerdings hilft Ihnen das auch bei anderen Problemen nicht weiter. So wurden Maßnahmen ergriffen, um eine höhere soziale Durchmischung der Schulen zu erreichen. Daher können Ihre Kinder gezwungen sein, anderswo zur Schule zu gehen, weil das Rathaus die Gleichheit gewahrt wissen will – zumindest wenn Ihre Kinder keine Privatschule besuchen.

Ich persönlich lebe etwa sieben Kilometer südlich von Notre Dame. Das ist nicht weit draußen. Dennoch benötige ich mehr als eine Stunde, um zu meinem Arbeitsplatz zu gelangen. Der öffentliche Nahverkehr ist sehr langsam und Verspätungen an der Tagesordnung.

Darüber hinaus ist das Leben in Paris sehr teuer. Die Mieten sind alles andere als günstig und Gehälter fallen niedrig aus. Als ich aus privaten Gründen nach Paris gezogen bin, musste ich einen Gehaltsabschlag von 30 Prozent hinnehmen. Mehr als zehn Jahre später verdiene ich immer noch weniger als bevor ich nach Paris gekommen bin. Ich habe zwar einen neuen Arbeitsplatz gefunden, aber leichtgefallen ist mir das nicht. Es handelt sich um kein angelsächsisches Land. Der Arbeitsmarkt ist nahezu erstarrt.

Doch auch Arbeitskultur und Hierarchie sind problematisch. Wer in Frankreich arbeitet, muss sich darauf einstellen, dass die Verhältnisse viel autokratischer, hierarchischer und verhärteter ausfallen. Beförderungen basieren stets auf Vitamin B – Sie benötigen also die richtigen Freunde. Bevorzugt werden Sie auch wenn Sie eine der Elitehochschulen Grandes Écoles oder HEC absolviert haben. Das ist wichtiger als Ihre tatsächliche Leistung. Die Bürokratie ist langsam und niederschmetternd. So benötige ich beispielsweise ein neues medizinisches Zertifikat. Dreimal habe ich danach gefragt und dreimal haben sie mir das falsche Zertifikat geschickt. Es scheint als würde der öffentliche Dienst so wenig wie irgend möglich arbeiten. Wenn Sie am unteren Ende der Hierarchie stehen, dann verschwenden Sie damit viel Ihrer Freizeit.

Sicherlich gibt es auch Vorteile. Bei Paris handelt es sich um eine Kulturmetropole. Doch als nichtfranzösische Bankerin, die seit mehr als zehn Jahren in Paris lebt, habe ich mich an viele Missstände noch immer nicht gewöhnt. Sicherlich versucht der neue französische Präsident Emmanuel Macron die Probleme anzugehen, doch das Land steht vor so vielen Problemen, dass es Jahre dauern würde alle zu lösen und die Popularität Macrons ist bereits heute im Sinken begriffen. Wenn Sie immer noch nach Paris gehen wollen, dann sollten Sie sich das zweimal überlegen. Oder lassen Sie es lieber ganz bleiben. Denn einmal in Frankreich ist es fast unmöglich wegzukommen. Bleiben Sie also weg – bevor es zu spät ist.

Ivana Bélanger ist das Pseudonym einer Senior Bankerin aus Paris.


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