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GASTBEITRAG: Es ist wieder Saison für den Wechsel ganzer Teams

Meistens gleichen die Arbeitsplatzwechsel im Investment Banking einer gepflegten Partie Schach: Man versucht mehr Geld oder eine Beförderung herauszuschlagen und die Banken bauen ihr Geschäft sukzessive aus. Doch immer wieder wirft jemand das ganze Spiel vom Tisch, indem er ein komplettes Team abwirbt. Ein Team-Wechsel sorgt in der Branche für Gerede, weil die Bank für solche Ambitionen ein Budget benötigt und die andere betroffene Bank schnell die Lücke füllen und dafür wohl einen Gehaltsaufschlag zahlen muss.

Da Team-Wechsel in rechtlicher Hinsicht eine Grauzone darstellen, handelt es sich um eine heikle Angelegenheit. So etwas wie vertraglich vereinbarte Knechtschaft gibt es allerdings nicht. Jeder kann seinen Arbeitgeber aus einem beliebigen Grund verlassen. Doch solange Sie für einen Arbeitgeber arbeiten, schulden Sie ihm etwas Sorgfalt und Leistung. Eine der Pflichten lautet, dass man seine Kollegen nicht zu Kündigung und Arbeitsplatzwechsel animiert. Dies würde nicht nur gegen den Arbeitsvertrag verstoßen, sondern womöglich auch rechtliche Risiken für den neuen Arbeitgeber bedeuten. Daher erfordert ein Wechsel ein gewisses Täuschungsmanöver, womit der Wechsel einfach als eine Reihe von fünf oder sechs unzusammenhängenden individuellen Wechseln erscheint. Damit wächst sich jeder Teamwechsel rasch zu einer abenteuerlichen Angelegenheit aus.

Der einzige Teamwechsel, an dem ich selbst beteiligt war, fand etwa zu dieser Jahreszeit statt und führte zu einem Wechsel, der 6 Mio. Dollar Gehälter und etwa das Fünffache an Erträgen umfasste. Und das, weil jemand sich zu bedanken vergessen hatte.

Kurz vor Weihnachten hatten wir das größte Geschäft unseres Sektors in der jüngsten Geschichte abgeschlossen – zu einer Zeit, als unser Arbeitgeber dringend gute Nachrichten benötigte. Wir warteten auf die „Super Job“-Rund-E-Mail, die der Abteilungsleiter für gewöhnlich herumschickte – aber sie traf niemals ein. Bei uns stellte sich der Eindruck ein, unsere Arbeit werde nicht geschätzt. Wir hörten Gerüchte, wonach der Abteilungsleiter ein wenig neidisch war und dachte, wir würden größenwahnsinnig werden. Wie der Zufall so wollte, traf sich zu dieser Zeit gerade der Teamleiter mit einem alten Freund von einer anderen Bank.

Da Weihnachten nahte, fand es auch niemand seltsam, dass der Teamleiter innerhalb von vierzehn Tagen mit jedem Mitglied einzeln zu einem Lunch ging. Die im Büro zurückgebliebenen begannen zu registrieren, dass die von dem Mittagessen zurückkehrenden Leute ein breites Lächeln im Gesicht hatten und jeden Augenkontakt mieden. Wer sich ein wenig in der Branche auskennt, weiß was um ihn herum vor sich geht. Auch ich bemerkte, dass etwas vor sich ging, aber nicht was.

Als ich für den Lunch-Termin an der Reihe war, gab es nichts Neues zu vermelden. Tauche einfach pünktlich im Restaurant auf und vertraue dem Chef, hieß es. Er erzählte mir etwas über die Branche, was ich bislang nicht verstanden hatte.

„In diesem Team herrscht der verbreitete Irrglaube“, sagte er mir, während er an seinem Mineralwasser nippte, „dass wir für eine große Bank arbeiten. Tatsächlich arbeiten wir für ein kleines Syndikat, welches aus mir und euch vielen besteht. Die Bank stellt uns einfach nur Büroraum, Computer und ein Verrechnungssystem zur Verfügung, so dass unsere Kunden uns bezahlen können. Und dafür behält sie einen Teil unserer Erträge für sich. Wenn wir für diese Dienstleistungen ein besseres Angebot erhalten…“

Und genau das trat ein. Bei der Ankunft im Restaurant wurde jeder von uns in einen Seitenraum geführt, ein Umschlag ausgehändigt, die Hintertür gezeigt und gesagt, wir sollten uns ungesehen davonstehlen. Anschließend gingen wir alle nachhause und öffneten den Umschlag. Damit war die Falle gestellt.

Wir kündigten in der Reihenfolge unserer Seniorität, womit ich als Vorletzter drankam. Unglücklicherweise hieß dies für mich: Als ich im Büro des Abteilungsleiters auftauchte, war er schon im Bilde. Möglicherweise war auch einem der Kollegen mehr Geld fürs Bleiben angeboten worden. Ich bin mir sicher, dass der rechten Hand meines Teamleiters ein Top-Job angeboten wurde. Doch als die Reihe endlich an mir war, waren nur noch mürrische Blicke und Drohungen mit rechtlichen Schritten im Angebot.

Diese Zeit ging nicht spurlos an meinen Nerven vorüber. Wir hatten unsere Instruktionen: Sag nichts, lass dich nicht auf eine Diskussion ein, was andere gemacht haben, sage keinesfalls, welche Bank uns eingestellt hat und fasst euch so kurz wie möglich. Unser neuer Freund, ein Anwalt für Arbeitsrecht, teilte uns mit, dass es sich bei diesen Drohungen lediglich um Getöse handelt. Und so sollte es sein. Die Banken wollen für gewöhnlich keinen Präzedenzfall schaffen und sich gegenseitig verklagen, dass sie sich das Personal abwerben. Schließlich macht das jeder und es war noch nie eine gute Idee, seine dreckige Wäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen. Ich verabschiedete mich also missmutig, ging in eine Kneipe außerhalb des Finanzdistrikts und feierte mit einem halben Dutzend Leuten, die ganz zufällig an demselben Tag die gleiche Entscheidung getroffen hatten.

Dennoch handelte es sich nicht um meinen stressigsten Stellenwechsel, wovon ich Ihnen später einmal erzählen werde. Nur so viel: Seinerzeit wurde ich sogar für sechs Stunden in einen Raum eingesperrt und konnte nur entkommen, indem ich vorgab, in die Kantine zu gehen. Es handelte sich aber um den aufregendsten Wechsel. Falls Ihr Vorgesetzter im neuen Jahr an der Kaffeemaschine Anspielungen machen sollte, wünsche ich Ihnen viel Glück.

Bei Toby Browning handelt es sich um ein Pseudonym.

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