Der Deutsche Bank-Chef Anshu Jain beteuert bei jeder passenden Gelegenheit, dass der deutsche Branchenprimus es mit dem Kulturwandel ernst meine. Und in der Tat könnte es sich bei dem vielbeschworenen Wandel um mehr als eine bloße PR-Aktion handeln. Die Sorte von Bankern, die mit der Manipulation des Londoner Referenzzinssatzes Libor für Extragewinne sorgten, könnte vielleicht schon bald zu den Dinosauriern der Bankenlandschaft zählen.
„Vor 25 Jahren war es bei Komikern in Großbritannien ganz normal, derbe, sexistische und rassistische Witze zu reißen – und zwar zur besten Sendezeit im Fernsehen. Heute wirkt dies unangenehm und inakzeptabel“, sagt Paul Palmer, Professor und Ethik-Beauftragter der Cass Business School, der mit Banken ihre Unternehmenspolitik überarbeitet. „Diejenigen, die es in Sachen Ethik bei Lippenbekenntnissen belassen, werden immer mehr an den Rand gedrängt und früher und später verdrängt.“
So zeigt sich immer häufiger, dass die Banken intensiv daran arbeiten, nach endlosen Skandalen und Affären ihre Reputation zurückzugewinnen. Wie bereits Jain hat auch der Non-Executive Director Tim Breedon von Barclays bei einer Veranstaltung der London Business School eine „neue Kultur“ und eine dynamische Führung beschworen, während andere Teilnehmer die Bedeutung von „sozialer Intelligenz und Einfühlungsvermögen“ für die Banker der Zukunft unterstrichen.
Darüber hinaus hat kürzlich auch der Geschäftsführer des britischen Derivateverbandes Futures & Options Association Anthony Belchambers gesagt, dass ethisches Verhalten ganz natürlich zu den Geschäftsabläufen gehören müsse und dass die Banken bereits versuchen, ihre Kultur zu erneuern, aber in der Presse nicht gut wegkämen.
Die Beurteilung ethischer Einstellung fällt gar nicht so leicht
Doch wie lässt sich die ethische Einstellung eines Kandidaten in einem Vorstellungsgespräch eigentlich ermitteln? Schließlich tendieren Bewerber dazu, diejenigen Antworten zu geben, die die Gesprächsführer hören wollen. Anders sieht es aus, wenn die Leute im Arbeitsalltag mit Ergebnis- und Wettbewerbsdruck zu kämpfen haben.
Zumindest bei Absolventen versuchen es die Banken durch die Vordertür: Sie konfrontieren die Bewerber mit Fragen wie: „Was halten Sie von Boni im Banking?“ oder „Beschreiben Sie ein ethisches Dilemma, in dem sie sich befunden haben und wie sie damit umgegangen sind.“
So erzählt ein Graduate Rercruiter einer Großbank: „Wir wollen vertrauenswürdige Mitarbeiter und daher fragen wir, welchen Motivation sie dazu getrieben hat, Banker zu werden. Die Branche hat sich verändert: Sie arbeiten genauso lange wie früher aber für weniger Geld; die Regulierung wird immer dichter und die Vergütungen werden so schnell nicht wieder steigen. Falls Sie nur nach Geld und dem eigenen Vorteil streben, dann passen sie einfach nicht dazu.“
Das Recruitmentteam der US-Großbank Citi für Europa, den Mittleren Osten und Asien gibt an, dass sie Kandidaten danach beurteilen, welche Auswirkungen deren Arbeit „auf andere, das Unternehmen und die Branche“ haben könne. „Im Vorstellungsgespräch fragen wir nicht nur danach, was die Leute in der Vergangenheit gemacht haben, weil dies häufig zu Standardantworten führt, sondern wir ermutigen die Leute, selbst zu denken und Details zu ihrem eigenen Vorgehen zu verraten und dies lässt sich weniger leicht vortäuschen. Wir haben auch unsere Assessmentcenter in diesem Sinne optimiert“, betont Citi.
Der Psychologe Binna Kandola hat Rollenspiele entwickelt, um derartigen Fragen im Einstellungsprozess nachzugehen. „Mit den Kürzungen in den Recruitmentbudgets sind solche Dinge seltener geworden. Dennoch müssen ethische Fragen in den Einstellungsprozessen integriert werden und nicht nur abgehakt werden“, sagt Kandola. „Viele der jüngsten Skandale hängen auch mit der Kultur zusammen und gehen nicht nur auf einige skrupellose Personen zurück.“
Banken versuchen Boni an die Unternehmenskultur zu binden
Immer mehr Banken versuchen Boni an die Einhaltung ethischer Standards und die Reputation des Instituts zu binden. Beispiele hierfür sind die Deutsche Bank, Goldman Sachs und Barclays. Kandola hält diesen Weg für durchaus richtig. Allerdings komme es dabei entscheidend auf die Umsetzung an. „Man muss sich fragen, wie eine Performance erzielt wurde und nicht nur ob die Targets erreicht wurden, um die ethischen Standards zu verbessern. Es muss sich um einen Kernbestandteil des Auswahlverfahrens handeln und nicht nur darum, ob jemand in der Lage ist, nach Schema F zu verfahren.“
Allerdings kann die Lösung kaum darin bestehen, eine Reihe von ethischen Vorgaben auswendig zu lernen. So weist Palmer auf das schlechte Beispiel der englischen Rechtsanwälte hin, die einen ethischen Kodex von 16.000 Wörtern quasi auswendig lernen müssen. „Das kann schon lächerlich werden“, sagt Palmer. „Ein moralisches Verhalten sollte ein Teil der Unternehmenskultur sein – leicht verdauliche erstrebenswerte Standards und keine langen rechtlichen Dokumente.“
Laut Kandola ändern sich einfach die Zeiten. In der Vergangenheit wurde eine Persönlichkeit wie der ehemalige RBS-Chef Fred Goodwin mit seinem aggressiven und expansionistischen Auftritt als Idealbild eines Spitzenbankers geschätzt. Wenn die Banken einen Wandel der Unternehmenskultur tatsächlich wollen, dann müssen die Spitzenbanker Werte wie Ethik und Einfühlungsvermögen vorleben.
