Die meisten US-Banken in der Londoner City machen anscheinend gern einen Bogen um die eingeborenen Arbeitskräfte. Vielmehr bevorzugen sie Kontinentaleuropäer. „Briten auf Investment Banking-Stellen von Großbanken stellen eine aussterbende Spezies dar – und das sind sie schon seit zehn Jahren“, behauptet ein M&A-Recruiter, der lieber anonym bleiben möchte. Seiner Meinung nach seien britische Banker einfach zu faul. „Sie wollen nicht hart arbeiten. Sie beginnen in einem M&A-Team einer US-Bank und bleiben dort für zwei oder drei Jahre, aber dann flüchten sie auf der Suche nach einer höheren Lebensqualität auf die Buy-side. Bei den Kontinentaleuropäern fällt die Wahrscheinlichkeit deutlich höher aus, dass sie bleiben. Heutzutage machen die Kontinentaleuropäer 90 Prozent des Personals in der Investment Banking Division (IBD) auf Junior Level aus.“
Headhunter Andy Pringl von Circle Square Recruitment bestätigt diese Zahl. „Bei jeder Großbank sind 10 Prozent der Investment Banking-Mitarbeiter bis hinauf zum Vice President-Level britisch“, sagt Pringl. Allerdings führt er diesen Umstand eher auf die mangelnden Sprachkenntnisse denn auf Faulheit zurück. „Wenn die Großbanken für das gesamteuropäische M&A einstellen, dann wollen sie Leute, die mehrere europäische Sprachen beinahe auf dem Niveau der Muttersprache oder zumindest fließend beherrschen. Es ist unglaublich selten, einen Briten zu finden, der mehr als eine weitere Sprache auf diesem Niveau spricht.“
Die Zahl von 10 Prozent mag auch eine Rolle dabei spielen, dass die britische Regierung die Einwanderung aus der übrigen EU begrenzen möchte. Doch ein solcher Schritt könnte zumindest in der IBD zu einem ernsthaften Personalproblem führen.
Nach unseren eigenen Erhebungen scheinen indes nur 17 Prozent der Jobs in der Londoner City mit Einwanderern von der EU besetzt zu werden. Allerdings betraf dies sämtliche Jobs im Finanzdistrikt – einschließlich der Stellen in Middle und Back Office. Eine Recherche zu den Einstellungen im Front Office bei Morgan Stanley und Goldman Sachs kam kürzlich ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich darunter nur wenige Insulaner befinden. Ein weiterer Vorteil der Kontinentaleuropäer mag darin bestehen, dass sie im Vergleich zu ihren britischen Wettbewerbern ein wenig älter sind und mehr Berufserfahrung mitbringen.
In der Vergangenheit wurden Kontinentaleuropäer in der City gerne als „Eurotrash“ verunglimpft. Doch heute werde der Begriff nur noch von Briten verwendet, die sich um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit sorgen, meinen Recruiter. „Es gibt ein Vorurteil gegen britische Banker“, erzählt der M&A-Recruiter. „Wenn ich britisch wäre und keine kontinentaleuropäische Sprache spräche, dann wäre ich frustriert, dass die meisten Junior-Jobs bei US-Banken an Kontinentaleuropäer gehen“, ergänzt Pringle. „In der Vergangenheit war die City sehr angelsächsisch geprägt, jetzt wird sie immer kontinentaleuropäischer.“
Unterdessen erzählt ein M&A-Banker aus Frankreich, dass die Vorbehalte gegenüber französischen Finanzprofis nicht vollständig verschwunden seien. „Ich habe schon ein wenig ‚French Bashing‘ beobachtet“, erzählt er. „Das mag daran liegen, dass wir Franzosen uns gerne beschweren. Das scheint Teil unserer DNS zu sein: Wir müssen meckern, aber wir erledigen den Job.“ Allerdings seien die Deutschen bei dieser Sportart noch schlimmer als die Briten. „Die Deutschen versuchen einfach nur die Dinge erledigt zu bekommen und mögen es nicht, wenn sich die Franzosen beschweren“, ergänzt der Banker.
Laut Recruitern falle der Anteil der Einheimischen in den Führungspositionen höher aus. Dies liege teilweise an dem Erbe der Vergangenheit, teilweise aber auch an dem Umstand, dass Kontinentaleuropäer gerne in ihre Heimat zurückkehren, sobald sie in London gutes Geld verdient haben. Doch bis dahin stellen sie gerne Ihresgleichen ein. Und dies seien eben ehrgeizige, polyglotte Studenten mit mehreren Praktika. Da haben britische Berufseinsteiger oft das Nachsehen.