In zehn Tagen will die Deutsche Bank endlich verraten, worin ihre neue Strategie 2020+ besteht. Theoretisch sollte dies den Schlussstrich unter alle Strategiediskussionen ziehen. Tatsächlich sieht es so aus, dass mit John Cryan Bewegung in die Restrukturierung der Deutschen Bank kommt, während sein Vorgänger Anshu Jain eher als Bewahrer galt. Doch diese Momentaufnahme stellt nicht die ganze Wahrheit dar. Um die aktuelle Misere besonders des Investmentbankings zu verstehen, muss man sich die Geschichte der Strategieschwenks in den zurückliegenden fünf Jahren vor Augen führen.
2010 heuerte der Konzern kräftig an, um sein Geschäft mit Aktien und Rohstoffen auszubauen
Die gestrige Beförderung von Garth Ritchie zum Chef des neuen Geschäftsbereichs Globals Markets spricht dafür, dass der Konzern das Aktiengeschäft im Rahmen seiner Strategie 2020+ aufwerten möchte. Das wird nicht das erste Mal sein. Bereits 2010 kündigte Jain Investitionen von 2 Mrd. Dollar in neue Mitarbeiter und IT des Kapitalmarktgeschäfts an. Damit wollte der Konzern zur Riege der fünf weltweit größten Spieler im Geschäft mit Rohstoffen und Aktien aufschließen. Allerdings entwickelten sich die Dinge nicht ganz nach Plan. Im ersten Halbjahr 2015 rangierte die Deutsche Bank im Aktiengeschäft nur auf dem sechsten Platz. Aus dem Rohstoffgeschäft hat man sich sogar weitgehend verabschiedet.
Juni 2011: Jain bekräftigt den Wachstumskurs bei Aktien, Rohstoffen und Corporate Finance. Dagegen sollten Risikomanagement und unterstützende Aktivitäten rationalisiert werden
2011 präsentierte die Deutsche Bank eine Strategierevision. Jain sprach von „strategischen Investitionen in Corporate Finance, Rohstoffen und Aktien sowie in die dazugehörige Infrastruktur“ und von einer „Rationalisierung von Corporate Coverage, Risikomanagement und unterstützende Aktivitäten“.
Der entsprechende Chart findet sich unten. Das Geschäft mit festverzinslichen Papieren solle „optimiert“ und „beibehalten“ werden, ins Aktien- und Rohstoffgeschäft solle „investiert“ oder zumindest „festgehalten“ werden und das Unternehmenskundengeschäft sollte bleiben, wie es war.
Juni 2012: Die Deutsche Bank verkündete Streichung von 900 Stellen in ihrem Aktien- und Corporate Finance-Geschäft in Asien sowie von 600 Stellen in ihrer Infrastruktur
Der unten stehende Chart stammt aus Jains Strategiepräsentation aus dem Juni 2012. Damals kündigte Jain Neueinstellungen im US-Corporate Finance- und im Aktiengeschäft an. Ähnliches war für Zins Sales & Trading in Indien, China, Südkorea und die ASEAN-Staaten (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand vorgesehen) und fürs Risikomanagement – nur ein Jahr nachdem Jain von Kürzungen im Risikomanagement gesprochen hatte.
September 2012: Deutsche Bank kündigt Programm zu operativen Exzellenz an
Anlässlich ihrer Quartalszahlen stellte die Deutsche Bank erstmals ihre Strategie 2015+ vor. Damit sollte der jährliche Aufwand innerhalb von drei Jahren um 4,5 Mrd. Euro gesenkt und eine Eigenkapitalrendite von 12 Prozent erzielt werden. Dazu sollten die Boni gekürzt, Personal abgebaut und die Prozesse optimiert werden.
Die damalige Spitze des Investmentbankings Colin Fan und Robert Rankin kündigten an, in Devisenhandel, Schwellenländer und digitale Handelsplattformen zu investieren. Weiter wollten sie sich aufs Aktiengeschäft in Europa und Asien konzentrieren und sich von unprofitablen Kunden trennen.
Oktober 2013: Finanzchef Stefan Krause dementierte jegliche Pläne zu einem Teilrückzug aus dem Fixed Income-Geschäft
Die Erträge sprudelten im Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren längst nicht mehr so wie in der Vergangenheit, während die Regulierung und die Eigenkapitalkosten deutlich zulegten. Daher gerieten viele europäische Banken unter Druck, sich aus dem schwierigen Geschäft zurückzuziehen. Dagegen wehrte sich Finanzchef Krause: „Wir sind ein Marktführer. Wir haben die erforderliche Größe und glauben, dass wir hier Geld verdienen können. Die Investitionen in unsere Plattformen, um unter Basel III Geld verdienen, sind substanziell. Wenn jedoch ein Wettbewerber ohne eine solche Plattform startet, dann wird es ihm schwer fallen, anständige Erträge zu erzielen.“
Januar 2013: Die Bank gibt an 1400 Stellen im Investmentbanking abgebaut zu haben und 8000 Stellen an günstigere Standorte zu verlagern
Nach der Vorstellung des Jahresergebnisses 2012 konzentrierte sich die Deutsche Bank auf die Verringerung ihrer Infrastrukturkosten. Dazu zählte der Verschiebung von 8000 Arbeitsplätzen von den teuren Finanzzentren zu günstigeren Standorten. So baute die Bank ihr Personal etwa in Berlin und Birmingham aus.
September 2013: Jain freut sich über die neu gewonnene Effizienz der Bank
Im Herbst stellt Jain die Entwicklung als rosig dar: Die Investmentbank würde mehr mit weniger leisten. Jain zeigte sich „befriedigt“ über die neu gewonnene Effizienz. Allerdings gaben die Erträge in Sales & Trading mit festverzinslichen Wertpapieren nach.
Unterdessen ging der Personalabbau weiter. Im Front Office wurden 562 Jobs im Front Office und 1895 in den unterstützenden Abteilungen gestrichen. Das Rohstoffgeschäft wurde gleich ganz aufgegeben. Im Januar 2014 zeigte sich wiederum, dass das Geschäft mit festverzinslichen Papieren weiter schwächelte.
Juni 2014: Der Konzern führte überraschend eine Kapitalerhöhung durch, womit das Fixed Income-Geschäft gestärkt werden sollte
Bereits in 2013 hatte die Deutsche Bank frisches Kapital in Höhe von 3 Mrd. Euro aufgenommen, was das Ende der Fahnenstange gewesen sein sollte. Umso überraschter reagierten Beobachter als Jain im Juni 2014 weitere 8 Mrd. Euro aufnehmen ließ. Dieser Schritt hat Jains Glaubwürdigkeit bei den Aktionären deutlich geschmälert, zumal die Meinung vorherrschte, dass damit hauptsächlich der Marktanteil in Sales & Trading im US-Fixed Income-Geschäft verteidigt werden sollte.
Juli 2014: Die US-Aufsicht wirft dem Konzern mangelnde Compliance vor. Konzern muss 500 neue Stellen schaffen
Kurz darauf kritisierten US-Behörden die mangelnde Compliance der Deutschen Bank. Plötzlich sah sich der Konzern gezwungen 500 neue Stellen allein in seiner US-Compliance zu schaffen. Zur gleichen Zeit kündigte die Bank an, das Ziel ihre jährlichen Kosteneinsparungen von 4,5 Mrd. Euro bis 2015 auf 6 bis 7 Mrd. Euro bis 2018 anzuheben.
Januar 2015: Die Deutsche Bank muss einräumen, dass die steigenden Regulierungskosten ihr Kostensenkungsprogramm beeinträchtigt
Einsparungen von 1,3 Mrd. Euro wurden von Zusatzkosten für die Regulierung aufgezehrt. „Die Umsetzung unseres Kostensenkungsprogramms hat nicht das gebracht, was wir angestrebt haben“, gestand Jain ein.
April 2015: Jain stellt seine Strategie 2020+ vor. Das Geschäft mit Firmenkunden, Aktien, Aktienderivaten und Anleihen aus Schwellenländern soll wachsen
Der jüngste Strategieschwenk begann im April 2015, als Jain die Eckpunkte seiner Strategie 2020+ vorstellte. Vom neuen Co-CEO John Cryan wird berichtet, dass er bereits bei diesem Schwenk Jain die Feder geführt habe. Seinerzeit saß Cryan noch im Aufsichtsrat des Konzerns. Demnach soll das Investment Banking auf den unten stehenden Chart zusammengestrichen werden. Im Grunde lässt sich sagen: Wer im Firmenkunden- und Aktiengeschäft arbeitet, dürfte ungeschoren davonkommen. Dagegen dürfte es im Anleihegeschäft empfindliche Einschnitte geben.
Erstaunlicherweise kündigte Jain noch im April an, das Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren in den Schwellenländern auszubauen. Nach den sommerlichen Turbulenzen in China dürfte hierhinter ein großes Fragezeichen stehen.
Oktober 2015: Warten auf den großen Wurf
Am Donnerstag (29. Oktober) will Cryan endlich den Vorhang für seine neue Strategie lüften. Nach dem gestern verkündeten Vorstandsumbau verdichten sich die Hinweise auf einen Teilrückzug der Deutschen Bank aus dem kapitalintensiven Anleihegeschäft in den Vereinigten Staaten.