Stress gehört in den Finanzdienstleistungen zum Arbeitsalltag. Doch falls sich der Stress zu Depressionen und Angstzuständen auswächst, dann werden Betroffene schnell stigmatisiert – mit fatalen Folgen für die Karriere. Keine Bank würde jemals zugegeben, dass Mitarbeitern mit psychischen Leiden irgendwelche Nachteile am Arbeitsplatz drohen. Dennoch soll es vorgekommen sein, dass depressive Banker sich gezwungen sahen, Ihren Job aufzugeben.
Bei den meisten Banken gibt es Richtlinien, wie mit Bankern mit mentalen Problemen umgegangen werden soll. Doch ein ehemaliger Managing Director aus dem Investmentbanking bezweifelt, dass Banken neue Mitarbeiter einstellen, die über eine Historie an Depressionen verfügen. „Ich habe meinen ehemaligen Arbeitgeber wegen mentaler Probleme verlassen und ich war bislang nicht in der Lage, eine neue Arbeit zu finden“, sagt der ehemalige Investmentbanker, der lieber anonym bleiben möchte. „Mir wurden schon Jobangebote unterbreitet und dann wieder zurückgezogen. Ich denke, dass sie herausgefunden haben, dass ich an Depressionen leide. Die Welt ist grausam.“
Joe Nickel hatte bereits eine zehnjährige Karriere im Wealth Management und in Aktienbrokerage hinter sich, als er sich im Jahr 2008 immer gestresster fühlte. Kurz darauf musste er seinen Arbeitsplatz verlassen, um still in einer Toilettenkabine zu weinen, damit die Kollegen es nicht mitbekamen. Durch eine plötzliche Panikattacke am Bahnhof war es ihm unmöglich, bei der Arbeit zu erscheinen. Nickel musste sich eingestehen, dass es sich um eine ernsthafte Erkrankung handelte. Schließlich wurde er aufgrund von Panikattacken und Depressionen für drei Monate krankgeschrieben – doch er sollte nie wieder an seinen damaligen Arbeitsplatz zurückkehren.
„Der Finanzsektor stellt ein hartes, aggressives und manchmal auch konfliktreiches Arbeitsumfeld dar. Leute werden mit einer Arbeitsbelastung überhäuft, die in anderen Branchen undenkbar wäre. Aber sie ertragen es, weil sie ein hohes Gehalt erhalten“, sagt Nickel. „Mein direkter Vorgesetzter hat mich sehr unterstützt. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass sie mich nach einigen Monaten krankheitsbedingter Abwesenheit nicht wiederhaben wollten. In einer derartigen Leistungskultur gilt jeder Hinweis auf Schwäche als verdächtig.“
Depressionen stellen ein wachsendes Problem dar
Eine mangelnde Anerkennung von Depressionen kann tragische Folgen haben. Nickel erzählt, dass er nur Wochen von einem Selbstmord entfernt gewesen sei, bevor er sich professionelle Hilfe suchte. Mit Depressionen ist tatsächlich nicht zu spaßen: Im vergangen Oktober hat sich Michael Burdin, ein Devisenhändler der Bank of America Merrill Lynch, in London vor einen Zug geworfen, nachdem er seine Arbeit verloren hatte. Nico Lambrechts, Investment Manager bei Investec, nahm sich das Leben, indem er sich aus dem Londoner Restaurant Coq D’Argent stürzte, welches sich im siebten Stock befindet – und zwar als Folge von Problemen am Arbeitsplatz.
Psychotherapeutische Einrichtungen in der Londoner City berichten, von neuen Patienten geradezu überrannt zu werden. Laut dem Psychologen Michael Sinclair von der City Psychology Group leiden die Hälfte davon an Depressionen und Angstzuständen.
„Die meisten Leute, die mich sehen wollen, möchten, dass ihr Fall vertraulich behandelt wird. Sie fürchten, dass sie als depressiv abgestempelt werden und dass dies in die Unterlagen gelangen und so ihre Beschäftigungschancen in der Zukunft beeinträchtigen könne“, sagt Nickel.
„Im Finanzsektor sind mentale Gesundheitsprobleme mit einem gewaltigen Stigma behaftet“, sagt Psychologie-Professor Cary Cooper von der Lancaster University Management School und Gründer des Therapiezentrums Robertson Cooper, welches sich mit mentalen Problemen von Investmentbankern beschäftigt. „Es ist illegal, Leute zu diskriminieren, die unter einer Depression leiden. Dennoch finden sie oft Wege, um sich von ihnen zu trennen. Falls jemand einen Zusammenbruch erleidet, dann dürfte es ihm sehr schwer fallen zurückzukehren.“
Auch wenn die Banken versuchen, ihr Image zu korrigieren, gelten sie doch weiterhin als harte Arbeitsplätze samt Machokultur. So kam eine Studie aus dem Fachmagazin „Social Psychology and Personality Science Journal“ zu Jahresbeginn zu dem Ergebnis, dass die Menschen von einem durchschnittlichen Bankergesicht erwarten, „dominant, maskulin und aggressiv“ zu sein. Doch ganz so unverletzlich scheinen die Banker in der Realität doch nicht zu sein. So haben zwei unterschiedliche Studien in den zurückliegenden zwölf Monaten bestätigt, dass sich der Arbeitsalltag im Investmentbanking nachteilig auf die mentale Gesundheit auswirkt.
„Ich habe mich für meinen Zustand zutiefst geschämt und schwach gefühlt, was sicherlich auf die Machokultur im Banking zurückgeht“, gesteht Nickel. „Es war wie im Klischee: Als ich krankheitsbedingt abwesend war, habe ich eine Vielzahl von wohlwollenden E-Mails erhalten. Aber gehört habe ich von keinem. Ich weiß auch wieso; vor meiner Krankheit hatte ich dieselbe Einstellung.“
Die Probleme sollten offen angesprochen werden
In 2009 kam einen Studie von Time to Change, einer Initiative, die sich gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz richtet, zu dem Ergebnis, dass die Diskriminierung aufgrund mentaler Gesundheitsstörungen in der Bankenbranche am höchsten ausfällt. Nahezu die Hälfte der damaligen Umfrageteilnehmer gab an, dass sie zögern würden, Bewerber mit mentalen Krankheiten einzustellen. Ein Banker berichtete sogar, dass er 150 Vorstellungsgespräche überstehen musste, bevor er einen neuen Arbeitsplatz fand.
Die meisten Banken versuchen dem Problem Herr zu werden, in dem sie Vorsorge treffen, dass die Mitarbeiter gar nicht erst in Depressionen und Angstzustände abgleiten. So befragen die Banken regelmäßig ihre Mitarbeiter nach Problemen am Arbeitsplatz, um Risiken bereits frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus würden die Banken Programme anbieten, damit die Mitarbeiter besser mit dem Stress umgehen können, erzählt Cooper. Sinclair vertritt jedoch die Überzeugung, dass sich die Vorbehalte gegen depressive Kollegen nur abbauen ließen, wenn man die Probleme offen und auf positive Weise anspricht.
„Wenn Bankangestellte über Depressionen sprechen, dann gehen sie davon aus, dass dies beim neuen Arbeitgeber die Alarmglocken auslöst und dass dies als Schwäche ausgelegt wird“, sagt Cooper. „Es ist viel besser, die Umstände zu erklären, wie sich die Krankheit entwickelt hat, was Sie daraus gelernt haben und schließlich, wie Sie die Krankheit zu einer stärkeren und abgerundeteren Persönlichkeit gemacht hat.“ Weiter betont Cooper: „Es stellt eine Tatsache dar, dass es sich beim Banking um eine Risikobranche für Stress- und Angststörungen handelt. Nur wenn man das anerkennt, kann man damit umgehen.“
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