Nationalsozialismus, Sozialismus und die Wirren zweier Weltkriege haben die deutsche Klassengesellschaft gründlich durchgeschüttelt. Dagegen kam die Oberklasse in Großbritannien vergleichsweise ungeschoren durch die Turbulenzen des 20. Jahrhunderts. Von daher gelten hier noch feine und weniger feine Unterschiede zwischen oben und unten, die massive Auswirkungen auf die Karriere im Banking haben. Dies bestätigt einmal mehr ein Bericht der „UK Social Mobility Commission“, der dieser Tage vorgelegt wurde. Darin sind interessante Informationen enthalten, die viel über die Karriere im Investmentbanking aussagen. Wer eine Station im Londoner Investmentbanking anstrebt, sollte unsere Zusammenfassung gründlich lesen.
Benachteiligt ist…
1. … wer keine Privatschule besucht hat
In Großbritannien sind Gesamtschulen Standard. Doch es gibt Wege zu einer erleseneren Ausbildung. So schicken reiche Familien ihre Kinder bevorzugt auf Privatschulen wie Eaton, die rasch mehr als 30.000 Pfund (37.000 Euro) pro Jahr kosten. Daneben gibt es noch einige wenige öffentliche „Grammar Schools“, die mit deutschen Gymnasien vergleichbar sind. Während in Großbritannien 82 Prozent aller Kinder die staatlichen Gesamtschulen besuchen, wurden sie nur von 51 Prozent der Banker besucht. Viele Absolventen der Gesamtschulen dürften überdies im Middle und Back Office enden.
2. … wer keine Eliteuni besucht hat
Die Zielunis der britischen Investmentbanken sind weitgehend mit den Eliteunis identisch. Dazu zählen z.B. die London School of Economics, das University College London, das Imperial College London, die Uni Warwick sowie natürlich Oxbridge. Studenten dieser Hochschulen verfügen „tatsächlich über einen großen Bewerbungsvorteil, weil sie wissen, wonach die Banken suchen und die einzelnen Bereiche verstehen, für die sie sich bewerben … und es gibt viele Studenten aus einem höheren Studienjahr, die sich erfolgreich um ein Praktikum und später eine Einstiegsposition beworben haben. Es herrscht ein recht guter Netzwerkeffekt … Jeder kennt den Prozess, jeder spricht darüber und alle tauschen ihre Geschichten aus“, erzählte ein Befragter den Verfassern der Studie.
3. … wer keine guten Noten mitbringt
Wer im Banking arbeiten möchte, benötigt einen makellosen Studienabschluss. Bei JP Morgan verfügen die Sommerpraktikanten durchweg über sehr gute Noten (etwa 700 UCAS Points). Doch es herrscht eine enge Korrelation zwischen den Noten und der sozioökonomischen Herkunft der Studenten.
4. … wer an keinen extra-curricularen Aktivitäten teilnimmt
Banken lieben es, wenn Studenten an außerschulischen Veranstaltungen teilnehmen. Dazu zählen kleinere unternehmerische Tätigkeiten, die Teilnahme an Börsenclubs oder Sportveranstaltungen. In Oxford erzählte ein Befragter den Verfassern der Studie, dass die Banken automatisch die Präsidenten der Studentengesellschaften (Junior Common Rooms) zu speziellen Recruiting-Dinners einladen. Wer aus einer weniger begüterten Familie stammt und Geld verdienen muss, hat selten genügend Zeit, um sich auch noch nebenher zu engagieren.
5. … wer vor der Uni noch nichts über die Karrierewege von Banken wusste
Wer am großen Spiel um den Investmentbanking-Einstieg erfolgreich teilnehmen möchte, muss früh anfangen. Das ist in Deutschland nicht anders als in England. Wer frühzeitig die Karriereveranstaltungen der Banken und die Kurzpraktika im Frühjahr, die sogenannten „Spring Weeks“ besucht, besitzt bereits einen Karrierevorsprung. „Es gibt Dinge, an denen bereits Oberschüler teilnehmen können. Dann haben die Banken schon einmal ihren Namen notiert und laden sie zu ihren Veranstaltungen im nächsten Jahr an und so geht das dann von Jahr zu Jahr weiter. Und wenn sie sie bereits im Alter von 17 sehen und denken, dass sie großartig sind, dann verfolgen sie ihren Werdegang, bis sie weit genug für ein Sommerpraktikum sind. Damit befinden sie sich schon auf der Überholspur … Das Problem besteht darin, dass Leute wie ich, deren Eltern nicht in der Branche arbeiten, keine Ahnung davon haben, was sie mit 17 machen können“, erzählte ein Student den Verfassern der Studie.
6. … wer nicht die richtige Sprache spricht
Banken werden niemals eingestehen, dass sie nur Leute mit Akzenten und Sprachmustern der Mittelklasse einstellen. Denn dies wäre politisch im höchsten Maße unkorrekt. Vielmehr sagen sie, dass sie auf einen „geschliffenen“ Ausdruck achten – was letztlich auf das Gleiche hinausläuft. „Wer eine Schule in Ostlondon [dem ärmsten Teil Londons] besucht, übernimmt die örtliche Sprechweise. Wenn Sie zu einer Bank gehen, stellen Sie schnell fest, dass die Leute in der realen Welt eine andere Sprache erwarten … Die Hälfte der Gesprächsführer in einem Vorstellungsgespräch sind ziemlich vornehm, haben sehr gute Schulen besucht und anders sprechen gelernt … Wenn Sie zu solchen Vorstellungsgesprächen gehen, fühlen Sie sich fehl am Platz. Dies fiel mir bei fast jedem Vorstellungsgespräch auf, an dem ich teilgenommen habe“, erzählte ein Bewerber den Verfassern der Studie. „Ich fühlte, dass mein Akzent fehl am Platz war, also habe ich ihn geändert. Jetzt spreche ich so, dass meine Sprache keinen Rückschluss auf meinen Background erlaubt“, sagt ein Banker.
7.… wer sich falsch kleidet
Wer in Corporate Finance braune Schuhe trägt, wird schräg angesehen, solange er keine Führungskraft ist. „Meiner Erfahrung nach haben [nicht-privilegierte Studenten] keinen ordentlichen Haarschnitt, ihre Anzüge sind zu groß und sie wissen nicht, welche Krawatte sie tragen sollen“, erzählt ein Gesprächsführer von Bankinginterviews den Verfassern der Studie. „Wenn Sie [in Corporate Finance] einen Anzug mit falschem Schnitt, die falschen Schuhe oder eine unpassende Krawatte tragen oder im Anzug merkwürdig aussehen, dann ist die Sache gelaufen, bevor sie angefangen hat. Falls Sie in Ihrem Leben noch nie einen Anzug getragen haben, wie stellen Sie das dann an? …. Dann fallen Sie auf wie ein bunter Hund“, erzählt ein anderer.
8. … wer über kein Selbstvertrauen verfügt
Doch ein „vornehmer“ Auftritt zeigt sich nicht allein an Sprachmustern und der passenden Kleidung, sondern auch am Selbstbewusstsein. Bewerber ohne Selbstvertrauen werden nicht weit kommen. „Kompetenz wird mit Selbstvertrauen gleichgesetzt. Wenn sie nicht selbstbewusst auftreten oder kein Selbstvertrauen ausstrahlen, dann schätzen die Leute Sie nicht und halten Sie auch nicht für kompetent“, hörten die Verfasser.
Andere Befragte berichten davon, dass Absolventen von Privatschulen automatisch selbstbewusster auftreten. „Wenn Sie aus einem Mittel- oder Oberklasse-Background stammen, dann gibt es bestimmte Umgangsformen. Es geht darum, geschmeidig und selbstbewusst aufzutreten und Sie wissen, wenn Sie sich einer höhergestellten Person fügen, Instruktionen erfüllen müssen ohne sie zu hinterfragen, wenn Sie Initiative zeigen müssen, dass Sie nicht schnippisch auftreten dürfen, falls jemand aus einem anderen Milieu stammt oder dass sich andere Leute unwohl fühlen…“
9. … wenn Sie eine Lehre machen
Auch bei Londoner Banken gibt so etwas wie eine Banklehre. Doch Absolventen landen meistens in Jobs im Back und Middle Office. Den Weg zu den gutbezahlten Jobs ebnen sie sicherlich nicht.
10. … wer nicht das Geld für einen Master of Finance hat
Horrende Studiengebühren sind an Englischen Hochschulen normal. So manchem Studenten aus bescheidenen Verhältnissen kann sich einen Master of Finance nach seinem Bachelor einfach nicht leisten und schon gar nicht einen guten und besonders teuren. Da sich der Master of Finance in Londoner Banken wachsender Beliebtheit erfreut, stellt dies einen nicht unerheblichen Nachteil dar.
11. … wer nicht aus London und Umgebung stammt
Nahe an Finanzzentren zu leben, stellt einen veritablen Standortvorteil dar. Dies gilt für Frankfurt oder München wie für London. „Wir sehen selten Leute, die von jenseits der Londoner Ringautobahn kommen. Weil es einen Kostenfaktor darstellt, nach London zu ziehen“, erzählte ein Bankenrecruiter den Verfassern der Studie.
12. … dessen Eltern nicht im Banking arbeiten oder gute Kunden von Banken sind
Vitamin B stellt auch in London ein Allheilmittel für die Karriere dar. So wurde den Verfassern der Studie immer wieder erzählt, dass „Personen eingestellt wurden, deren Freunde und Familie von strategischer Bedeutung waren. Da geht es um Berechnung, es geht um Profit, um eine rationale Abwägung. Wenn Ihr Vater z.B. ein Gesandter irgendeiner Handelsdelegation ist und über Einfluss verfügt, dann werden Sie allein deswegen eingestellt.“
Ein ehemaliger Praktikant erzählt von einem Mitpraktikanten, der Sohn eines wichtigen Kunden war: „Er fand keine Abteilung, die ihn wollte. Aber am letzten Tag wurde ihm vom Managing Director einer Abteilung, in der er keinerlei Zeit verbracht hatte, ein Job angeboten.“
13. … wer niemand kennt, der im Banking arbeitet
Doch die Eltern müssen nicht unbedingt Banker sein. Manchmal reichen schon Freunde und Bekannte, die ein wenig über die Karrierewege im Banking erzählen können. Ein ehemaliger Praktikant berichtet, dass er während seines Praktikums im Trading kaum Gelegenheit fand, mit richtigen Tradern zu sprechen. Er musste feststellen, dass einige seiner Mitpraktikanten bereits „über solche Netzwerke“ verfügten. Sie sprachen mit einem Freund ihres Onkels oder einem Trader, der mit seinem Bruder die Uni besucht hatte. Sie verfügten damit über einen „Startvorteil“. Weil der Praktikant über keine solche Kontakte verfügte, konnte er sich auch kein Übernahmeangebot sichern. „An diesem Punkt hat mich das Investmentbanking wirklich abgestoßen.“