Der Exodus an jungen Finanzprofis aus Frankreich schwillt an, was vor allem an der hohen Arbeitslosigkeit hierzulande liegt – aber nicht allein. Auch der französische Management-Stil scheint seinen Beitrag zu leisten.
So stellt eine Studie von TNS Sofres aus dem Juni eine gestörte Beziehung zwischen Führungskräften und ihren Untergebenen fest. „Im Großen und Ganzen ist das Verhältnis in Frankreich im Vergleich zu anderen Ländern beschädigt“, heißt es in der Studie. Nur eine Minderheit von 39 Prozent der Umfrageteilnehmer meint, dass das Management achtsam mit den Angestellten umgeht. Nur zum Vergleich: In Großbritannien und den Vereinigten Staaten vertreten 54 bzw. 63 Prozent diese Auffassung.
Auch Karrierecoach Marie-France Fournier von Coérial, die früher selbst in einem Handelssaal gearbeitet hat, beobachtet „einen sehr starken Anstieg der Spannungen am Arbeitsplatz in Frankreich – inklusive der großen Banken“, wo die verschiedenen Personalabbaumaßnahmen die zwischenmenschlichen Beziehungen arg belasten.
Emotionen spielen eine zu große Rolle
Da viele Banken eine Matrixorganisation aufweisen, in der die Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind, wird von Führungskräften eine „natürliche Autorität“ erwartet. Dabei müssen die Manager mit einem Damoklesschwert über ihren Köpfen zu leben lernen. Laut Fourrier stelle der Arbeitsplatzverlust für Angestellte über 45 eines der größten Risiken in Frankreich dar. „Dadurch wird der Überlebensinstinkt aktiviert und der soziale Umgang gleitet schnell ins Emotionale ab“, sagt Fourrier.
Wie sehr sich der französische Managementstil vom angelsächsischen unterscheidet, hat Finanzprofi Philippe Combescure am eigenen Leibe erfahren. Denn Combescure hat seine Karriere als Wirtschaftsprüfer bei amerikanischen Unternehmen in Frankreich begonnen. Anschließend hat er 80 Prozent seines Arbeitslebens im Ausland verbracht, vornehmlich in London. Zurück in Paris sucht Combescure nach einem neuen Job, wobei die Vorstellungsgespräche bislang erfolglos verliefen. „Meine Fachkompetenz wurde niemals in Frage gestellt, vielmehr hat man mir meinen angelsächsischen Arbeitsstil angekreidet. Ich sei zu kooperativ.“
Dabei kennt Combescure den französischen Stil nur zu genau: „Ein guter Manager muss als standhaft und sehr autoritär wahrgenommen werden. Er muss die Richtung vorgeben und keiner Konfrontation aus dem Wege gehen. Dagegen zeigen sich Angelsachsen höflich und sehr kooperativ.“
Im Frankreich gilt immer noch die Hierarchie
Eine Erklärung für diesen Kampf der Arbeitskulturen mag auch im französischen Arbeitsrecht begründet sein, das ein patronage-ähnliches Verhältnis zwischen Angestellten und Geschäftsführung vorsieht. Die französische Kultur versteht ein Unternehmen nicht als eine Gemeinschaft; die Vorstellung eines kollektiven Zusammenlebens bleibt in Frankreich der Privatsphäre vorbehalten. „Jeder schätzt, was er macht. Die Manager geben ihren Untergeben einen großen Freiraum, denn diese können ihre Arbeit“, erläutert Philippe d’Iribarne, der den Einfluss kultureller Unterschiede auf die Funktionen von Unternehmen erforscht. „Umgekehrt verhalten sich die Angestellten gegenüber ihrem Unternehmen loyal und sie strengen sich bei der Arbeit sehr an.“
In seinem Standardwerk „Der französische Sonderweg“ erläutert der Wissenschaftler, dass die französische Arbeitskultur nicht durch vertragliche Beziehungen wie in den USA, sondern durch Hierarchien gekennzeichnet sei.
Die zunehmende Globalisierung wirbelt dieses prekäre Gleichgewicht gründlich durcheinander. „Die französischen Manager sind daran gewohnt, eine eher autoritäre und finanzielle Kontrolle auszuüben, ohne sich dabei um die Gegenleistung der Fairness und der Gleichheit zu kümmern, wie sie sich beim amerikanischen Management findet“, erläutert D’Iribarne.
Als Folge davon fühlten sich viele Angestellte in Banken heute weniger geschützt als in der Vergangenheit, wo die Patronage eine Gegenleistung für die Unterordnung darstellte.
Anfang 2013 forderten die Angestellten der französischen Großbank Socíeté Générale z.B. stärker in die strategischen Entscheidungen der Gruppe einbezogen zu werden. Schon dies zeigt, dass sich das Verhältnis zwischen Vorstand und Angestellten zu wandeln beginnt. Laut der Umfrage von TNS Sofres fordern lediglich 35 Prozent der Teilnehmer von französischen Unternehmen eine Mitsprache bei den strategischen Entscheidungen der Bank. Bei den Angestellten ausländischer Unternehmen sind es immerhin 60 Prozent.
Dieser Kulturwandel löst langsam auch in Frankreich ein Umdenken aus. „Es herrscht ein beständiges Hin- und Her zwischen einem autoritären Auftritt und einer Ablehnung der Autorität“, sagt D’Iribarne.
Wandel in kleinen Schritten
„Die Unternehmenskultur in französischen Konzernen entwickelt sich in kleinen Schritten“, beobachtet wiederum Karrierecoach Nathalie Weinry, die mit D’Iribarne bei seinen Forschungen zusammenarbeitet. „Teilweise gibt es einen regelrechten Missbrauch durch das Management. Dazu liefert die Finanzbranche regelmäßig Beispiele. In Frankreich schließt eine Managementrolle stets ein bestimmtes Verhaltensmuster ein“, ergänzt Weinry. Weniger als anderswo setzen die französischen Unternehmen auf geborene, charismatische Führungskräfte, die ihre Überzeugungen bis zum Ende verteidigen.
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