Vor 2008 waren Banker und andere Finanzprofis die absolute Ausnahme unter den Patienten der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee und anderer psychosomatischer Kliniken: Eine Psychotherapie zu besuchen und dann womöglich sogar noch stationär, betrachteten viele als Eingeständnis der Schwäche und als Karriererisiko. Dieser Weg wurde nur beschritten, wenn es wirklich nicht mehr anders ging.
Mit der Finanzkrise hat sich dies gründlich geändert. In den zurückliegenden Jahren suchten jeweils um die 200 Finanzprofis bei uns Hilfe. Doch bei der Auswahl einer Klinik und dem Gang dorthin spielen viele Aspekte eine Rolle. Aus unseren Zahlen lässt sich also kein generelles Urteil über die Gesundheit von Bankern ablesen.

Prof. Andreas Hillert
Seit der Finanzkrise ist der Druck auf Bankmitarbeiter weiter gestiegen
Im Rahmen der großen Bankenkrise 2008 kam es zu einem massiven gesellschaftlichen Vertrauensverlust in die Berufsgruppe. Vorher galten Banker als Inbegriff von Seriosität, Integrität und Wohlstand. Heute dagegen gelten sie als zwielichtige, mit dem Geld anderer Leute spekulierende Subjekte, die nur an den eigenen Vorteil denken. Damit wurde auch das Selbstbild vieler Bankmitarbeiter erschüttert. Besonders sensible, weniger karriereorientierte Banker leiden unter diesem Vorurteil.
Der Druck auf Banker hat deutlich zugenommen
Doch es geht nicht nur um die öffentliche Wahrnehmung. Auch der Druck im Arbeitsalltag hat enorm zugenommen. Das klassische Filialgeschäft hat mit der Konkurrenz des Online-Bankings zu kämpfen. Die Niedrigzinsphase bedroht zudem eine der wichtigsten Ertragsquellen der Banken. Viele Bankmanager begegnen dieser Problematik, in dem sie die Vertriebsvorgaben auf ihre Untergegebenen deutlich steigern. Der Druck wird gewissermaßen von oben nach unten durchgereicht.
Viele Bankmitarbeiter beklagen sich bei mir darüber, dass sie ihren Kunden Produkte verkaufen müssen, bei denen der Vorteil für den Verkäufer bzw. den Berater größer als für die Kunden ist.
In dieser Woche habe ich einen leitenden Mitarbeiter aus der Hypotheken-Abteilung einer Bank aufgenommen. Obgleich die Nachfrage nach Baukrediten eigentlich recht hoch ist, wurde er von seinen Vorstand massiv unter Druck gesetzt, Hypotheken möglichst schnell und „problemlos“ durchzuwinken. Er betrachtet es hingegen als seine Pflicht, die finanzielle Situation der Kunden eingehend zu prüfen und seine Kunden über mögliche Probleme beim geplanten Projekt aufzuklären.
Mit moralischen Zwickmühlen dieser Art kommen einige Banker gut, andere weniger gut zurecht. Für Letztere bedeutet dies freilich einen gesundheitsschädlichen Dauerstress. Auch fürchten immer mehr Banker um ihre langfristige berufliche Sicherheit. Wer fürchtet, bald vor die Tür gesetzt zu werden, bekommt Schwierigkeiten eine Familie zu gründen oder ein Haus zu kaufen, was die gesamte Lebensplanung beeinträchtigt.
In dieser Woche hat die HypoVereinsbank angekündigt, 1500 zusätzliche Stellen abzubauen. Die ständigen Nachrichten über Stellenabbau belasten viele Banker sehr. Welche Bank kommt als nächstes auf die naheliegende Idee, ihre Kosten durch einen Kahlschlag beim Personal zu senken, fragen sich viele Bankmitarbeiter.
Psychosomatische Symptome nehmen rapide zu
Betroffene erfahren den hohen Vertriebsdruck und die berufliche Unsicherheit oft als großen Stress. Neben körperlichen Symptomen wie z.B. Muskelverspannungen oder Bluthochdruck sind psychische Probleme häufig. Meist beginnen diese mit Ein- und Durchschlafstörungen und enden nicht selten als Depressionen.
Der Begriff „Burnout“ hilft an dieser Stelle leider nicht weiter: Letztlich besagt Burnout nicht mehr, als dass sich ein Mensch psychisch belastet fühlt und dies auf berufliche Probleme zurückführt. Etwa jeder fünfte Mensch, der sich „ausgebrannt“ fühlt, erfüllt die Kriterien einer Depression. Letztere zu erkennen, ist entscheidend, um angemessene Hilfe in Form von Psychotherapie oder Medikamenten anbieten zu können.
Bei sich selbst eine Depression zu diagnostizieren, fällt schwer, besonders wenn man das noch nie erlebt hat. Auch schwerwiegende Symptome werden von Betroffenen und Angehörigen oft nur als Folgen des beruflichen Stresses abgetan und damit für „normal“ erklärt. Wie gesagt, sind Schlafstörungen ein häufiges Symptom. Wer über mehrere Wochen nicht ein- oder durchschlafen kann, sollte dies mit seinem Arzt besprechen.
Was betroffene Banker unternehmen können
Man sollte es nicht soweit kommen lassen. Wie in allen anderen Berufen muss auch im Banking das Verhältnis zwischen „Investition“ und „Resultat“ stimmen. Prof. Johannes Siegrist von der Uniklinik Düsseldorf hat dies mit dem Modell der „Gratifikationskrise“ beschrieben. Vereinfacht gesagt, haben die Betroffenen den Eindruck, dass ihre Leistungen nicht angemessen anerkannt werden. Anhaltende Defizite können sich dabei zu einer Hypothek entwickeln, die die Gesundheit auf vielfältige Art belastet.
Banker wie alle anderen Berufstätigen sollten auf einen verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Ressourcen achten. Sie sollten nicht erst reagieren, wenn Sie sich bereits mit dem Rücken zur Wand fühlen. Selbstreflexionen dieser Art scheinen aber im Berufsfeld der Banken bislang kaum eine Rolle zu spielen. Es hält sich immer noch hartnäckig das Stereotyp des unbegrenzt belastbaren, unendlich innovativen, durchsetzungsfähigen etc. Alphatiers – auch wenn entsprechende Ikonen wie der ehemalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann („Leistung aus Leidenschaft“) deutlich an Ansehen verloren haben.
In einem solchen Umfeld fällt es vielen Bankern schwer, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen. Betroffene nutzen Coaching-Angebote eher, um ihre Leistungsgrenzen weiter hinauszuschieben. Prävention fällt leider oft aus.
Wer die genannten Symptome wie schwere Schlafstörungen an sich erkennt oder sich bereits krank fühlt, dem wird also der Gang zum Arzt oder Psychotherapeuten nicht erspart bleiben. Die Wartezeiten für gute Therapieplätze betragen in Großstädten aber oft mehrere Monate.
Banken müssen endlich die Verantwortung für ihre Mitarbeiter anerkennen
Nicht zuletzt bleibt zu hoffen, dass die Banken ihre Verantwortung im Sinne einer „Verhältnisprävention“ erkennen. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement, welches sich mit Rhetorik und Alibi-Angeboten begnügt, genügt einfach nicht. Mit gesunder Ernährung, Bewegungs- und Entspannungsangeboten und ggf. einem Sorgentelefon wird man die diesbezüglichen Probleme der Branche gewiss nicht lösen.
Ein erster Schritt könnte darin bestehen, die Belastungen und Interessenkonflikte zwischen Mitarbeitern und Managern offen zu kommunizieren. Nur wenn eine Vertrauenskultur nicht nur propagiert, sondern praktiziert wird, werden belastete Mitarbeiter die Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements nutzen. Leider sind wir derzeit in der Banken- und Finanzwelt von einer solchen Vertrauenskultur noch weit entfernt – die Rückmeldungen erkrankter Banker sind diesbezüglich mehr als eindeutig.
Prof. Dr. Dr. Andreas Hillert ist Chefarzt an der Schön-Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Wissenschaftlich wie therapeutisch beschäftigt er sich mit der Interaktion beruflicher Belastungen und psychischer Erkrankungen.
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