Goldman Sachs ist unter Finanzprofis Deutschlands begehrtester Arbeitgeber, wie die Ideal Employer Survey 2017 von eFinancialCareers ergeben hat. Seit 2015 leitet Jörg Kukies gemeinsam mit Wolfgang Fink die Goldman Sachs AG, wo der promovierte Wirtschaftswissenschaftler u.a. für das Geschäft mit strukturierten Produkten verantwortlich ist. In einem Interview äußert sich Kukies zu den Einstellungsplänen 2017, dem Brexit und zu der Frage, was junge Leute für eine Karriere bei der US-Investment Bank mitbringen müssen.
Goldman Sachs ist in der Öffentlichkeit umstritten, dennoch träumen viele Finanzprofis in Deutschland von einem Job bei Ihnen. Wie erklären Sie sich das?
Während der Finanzkrise hatte sich die Wahrnehmung der Banken in der Öffentlichkeit sicherlich verschlechtert, das hat sich inzwischen allerdings wieder zum Besseren geändert. Auch unsere Bewerberzahlen spiegeln das wider. Weltweit haben sich vergangenes Jahr rund 131.000 Studenten auf 5.000 Praktikumsplätze und Vollzeitstellen für Uniabsolventen beworben, das waren 11 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch bei uns in Deutschland sind die Bewerberzahlen in den letzten Jahren stark gestiegen, je nach Bereich sogar um das Doppelte. Und der Anteil an Bewerberinnen hat sich ebenfalls deutlich erhöht, was uns sehr freut.
Was uns als Arbeitgeber interessant macht ist, dass wir unseren Mitarbeitern schon sehr früh, sehr viel Verantwortung in ihrem Aufgabengebiet und für ihre Weiterbildung übertragen. Unsere Mitarbeiter können vom ersten Tag an einen echten Unterschied machen und einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Außerdem haben wir nach der Finanzkrise eine tiefgreifende Analyse durchgeführt, was zu umfassenden Änderungen an unserem Geschäftsmodell, unseren Verhaltensrichtlinien, der Kommunikation und Vergütungspolitik geführt hat.
Wie haben Sie selbst herausgefunden, dass Goldman Sachs der richtige Arbeitgeber für Sie ist? Wie hat es Sie an die Spitze der Goldman Sachs AG verschlagen?
Ich habe an der Universität Chicago promoviert. Einige meiner Freunde dort hatten mir von ihren Sommerpraktika bei Goldman Sachs berichtet und erzählt, wie spannend das ist. Drei Monate später habe ich in New York Vorstellungsgespräche geführt und weitere sechs Monate später habe ich einen Sommer bei Goldman Sachs in New York und London verbracht. Danach wurde mir ein Einstiegsangebot für den quantitativen Bereich in London unterbreitet.
Führen die Karrierewege zu Goldman Sachs eigentlich immer übers Ausland? Viele auch deutsche Investmentbanker scheinen ihre Karriere in London oder New York begonnen zu haben.
Bei uns gibt es beides. Nehmen Sie zum Beispiel unseren globalen Chefvolkswirt, Jan Hatzius. Er hat an der Uni Kiel studiert und bei Goldman Sachs in Frankfurt angefangen. Wir stellen heute für das deutsche Geschäft wesentlich mehr Absolventen von deutschen Hochschulen als von internationalen Universitäten ein. Beim Recruiting sind wir an einer ganzen Reihe von Universitäten aktiv, unter anderem in Frankfurt, Mannheim, München und Karlsruhe. Unsere letzten beiden Neueinstellungen kamen von den Unis Erlangen-Nürnberg und Eichstätt-Ingolstadt.
Welche Fächer und an welchen Unis sollte jemand studieren, der bei Goldman Sachs anfangen möchte?
Es gibt einen klaren Trend, dass wir zunehmend aus den quantitativ-naturwissenschaftlichen Fächern einstellen. Im vergangenen Jahr hatten fast 40 Prozent unserer Neueinsteiger auf Analysten-Ebene einen sogenannten STEM-Abschluss. Dieser Anteil ist in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen. Wir haben auch keinerlei Berührungsängste z.B. mit den Literatur- und Sozialwissenschaften. Im Gegenteil: Wir haben einiges dafür getan, dass wir breiter einstellen, unter anderem mit Hilfe von Video-Interviews. Mit dieser Technologie konnten wir für die Praktikantenklasse 2017 schon Kandidaten von mehr als 900 Universitäten interviewen.
Ich höre das immer wieder, ich kenne das auch aus den angelsächsischen Ländern, aber ich sehe es in Deutschland nicht. Ich bin hierzulande noch keinem Investmentbanker über den Weg gelaufen, der beispielsweise Geschichte studiert hätte.
Das ist richtig. Das liegt aber nicht an uns, sondern daran, dass wir in Deutschland sehr wenige Bewerbungen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften erhalten. Das liegt zum Teil sicherlich auch an den Strukturen und dem Bewerberverhalten. Allerdings hat sich auch hierzulande einiges getan und als amerikanisches Unternehmen ermuntern wir explizit Bachelor-Absolventen sich bei uns zu bewerben. Ähnliches sehen wir beispielsweise auch bei unseren weiblichen Bewerberinnen, wir wären gerne Wunscharbeitgeber für viel mehr Studentinnen und Absolventinnen. Auch hier nehmen wir durch gezielte Ansprache im Rahmen von Recruitingveranstaltungen den Kontakt auf, um so überzeugen zu können – mit Erfolg.
Abgesehen von Studienfach und Uni, was sollten Studenten noch mitbringen, die bei Ihnen anfangen wollen? Wie wichtig sind überdurchschnittliche Noten, Praktika und Auslandsaufenthalte?
Es ist nicht so, dass wir eine Checkliste haben, die wir abhaken. Praktika, Auslandsaufenthalte sind eher Indikatoren für das, was uns wirklich wichtig ist. Wir interessieren uns für Menschen, die begeistert von Finanzmärkten sind, eine interessante Persönlichkeit und gute Auffassungsgabe mitbringen und schnell im Denken sind. Außerdem müssen sie gute Teamplayer sein.
Wir beobachten, dass viele junge Analysten und Associates nach nur wenigen Jahren die Branche verlassen und zu Private Equity und Corporates wechseln, was übrigens auch bei Goldman Sachs der Fall sein soll. Was unternehmen Sie, um diesem Trend entgegenzutreten?
Sie sprechen da durchaus einen validen Punkt an. Ich würde allerdings nicht sagen, dass sich dieser Trend beschleunigt, denn Private-Equity-Gesellschaften und Corporates waren schon immer an Talenten von Goldman Sachs interessiert.
Als Grund für den Ausstieg nennen Analysten und Associates regelmäßig die extrem langen Arbeitszeiten im Investmentbanking. Was unternehmen Sie konkret, um das Problem in den Griff zu bekommen?
Wir nehmen natürlich die Wünsche und Anregungen unserer Mitarbeiter, insbesondere unserer Juniors, sehr ernst und die Work-Life-Balance wird dabei heute viel häufiger genannt als noch vor fünf oder zehn Jahren. Und wir unternehmen einiges: Wir lehnen beispielsweise reine Face-Time ab. Niemand muss sich verpflichtet fühlen, im Büro zu bleiben, nur weil der Chef noch da ist.
Sicherlich haben wir ein Geschäftsmodell, das vor allem in projektgetriebenen Bereichen gelegentliche Spitzen vorsieht. Das muss jeder wissen, der bei uns anfängt. Wir versuchen aber systematisch zu differenzieren zwischen Arbeitszeit, die mit herausfordernden und begeisternden Projekten verbracht wird, und bloßer Anwesenheit. Wir investieren massiv, mit dem Ziel, sich wiederholende, standardisierte Arbeitsvorgänge, die überproportional den Analysten und Associates obliegen, zu automatisieren. Die Arbeitsabläufe sollen so effizient werden, dass unsere Mitarbeiter eine bessere Work-Life-Balance haben und spannendere Tätigkeiten ausüben.
Wie reagieren Sie darauf, dass Analysten und Associates nach einigen Jahren Goldman Sachs verlassen? Stellen Sie bereits mehr Absolventen ein?
Unsere Alterspyramide verändert sich in der Tat. Umgekehrt haben aber auch drei Viertel der im vergangenen Jahr neu ernannten Partner als Analysten oder Associates bei uns angefangen. Das unterstreicht, wie wichtig eine langfristige Karriere-Perspektive bei uns ist.
Wenn wir schon mal dabei sind: Wie sehen Ihre Einstellungspläne für Deutschland 2017 aus?
Wir verfolgen in Deutschland eine klare Expansionsstrategie. Die steigenden Bewerberzahlen, die wir registrieren, wollen wir auch in steigende Einstellungszahlen umwandeln. Es handelt sich um einen schönen Dreiklang aus strategischer Expansion, höherem Interesse an Goldman Sachs als Arbeitgeber und unserer Bereitschaft, mehr Berufseinsteiger einzustellen. Wenn es zu unserer Strategie passt, dann stellen wir aber auch erfahrene Mitarbeiter von unseren Mitbewerbern ein.
Wer von den Mitarbeitern anderer Banken hat bei Ihnen überhaupt eine Chance? Normalerweise unterscheidet man Banken in Tier 1, 2 und 3. Goldman Sachs gehört zu Tier 1. Stellen Sie von Mitbewerbern aus der zweiten oder dritten Reihe ein?
Wir differenzieren nur nach Talent, nicht nach Herkunft.
Sie leiten u.a. das Geschäft mit strukturierten Produkten in Deutschland und Österreich. Generell haben wir in Sales and Trading eine Menge Automatisierung gesehen. Erst wurden Aktien elektronisch gehandelt und dann Anleihen. Welche Zukunft hat Sales and Trading überhaupt noch?
Der allgemeine Trend zur Automatisierung der Handelsplattformen ist nicht zuletzt auf die strengeren regulatorischen Anforderungen zurückzuführen. Allerdings fördern wir ihn auch selbst, da uns die Technologie hilft, effizienter zu arbeiten und besser auf die Anforderungen unserer Kunden antworten zu können. Das macht das Geschäft interessanter. Unsere Mitarbeiterzahl ist dabei weitgehend konstant geblieben; die Zusammensetzung hat sich allerdings schon verändert. Der Trend zur Automatisierung, Technologisierung und Digitalisierung führt dazu, dass wir mehr Absolventen mit einem IT und mathematisch-naturwissenschaftlichen Hintergrund einstellen.
Also weniger Back Office, mehr IT und Middle Office…
Ja, aber auch innerhalb von Sales and Trading suchen wir Mitarbeiter, die die Automatisierung der Kommunikation mit unseren Kunden verstehen. Wir suchen Kollegen, die einen guten Macro programmieren können, um die Kommunikation mit dem Kunden effizienter zu gestalten. IT-Kompetenz ist nicht nur in unseren Technologie-Abteilungen gefragt, sondern auch in unseren Front Office Fixed Income- und Equity-Tätigkeiten.
Was würden Sie jungen Leuten empfehlen, die in diese Richtung gehen wollen? Heißt die Losung: Lernt Programmieren, wenn Ihr in Sales and Trading erfolgreich sein wollt?
Auf jeden Fall. Wir finden es spannend, wenn Leute sich Programmieren selbst beigebracht oder entsprechende Kurse an der Uni besucht haben. Wir finden auch Leute interessant, die einmal bei Fintechs hineingeschnuppert oder in den Digitalplattformen von Mitbewerbern gearbeitet haben. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich in diesem Bereich weiterzubilden. Wer sich für die Finanzwelt interessiert, muss verstehen, welche grundlegenden Auswirkungen die Digitalisierung auf unser Geschäftsmodell hat. Wenn jemand in Vorstellungsgesprächen bei diesen Themen Schwächen zeigt, dann werde ich skeptisch.
Zuletzt noch zum Thema Brexit: Angeblich soll Goldman Sachs sein Equity Capital Markets- und sein Debt Capital Markets-Geschäft in Deutschland und Österreich von London aus betreiben. Welche Geschäftsbereiche planen Sie im Zuge des Brexits von der Themse an den Main zu verlagern?
Seit dem Brexit-Referendum arbeiten wir an der Vorbereitung einer Vielfalt von Szenarien. Daneben führen wir nach wie vor Gespräche mit Aufsichtsbehörden und offiziellen Stellen. Da wir in Frankfurt ebenso wie in Paris über eine starke Präsenz und über eine Banklizenz verfügen, spielen diese Standorte in diesen Szenarien eine wichtige Rolle.
Wann wird die Entscheidung fallen?
Die Verhandlungen zwischen Vereinigtem Königreich und der Europäischen Union haben ja gerade erst begonnen. Es ist noch vieles unklar, zum Beispiel, was mögliche Übergangsregelungen angeht. Deshalb sichern wir uns an einigen Standorten Optionalitäten. Bei den Städten, die für eine Verlagerung in Frage kommen, sind wir dabei, die für uns essenzielle Infrastruktur zu prüfen, indem wir uns z.B. die Arbeits- oder Immobilienmärkte anschauen.
Hat Goldman Sachs in Frankfurt schon neuen Büroraum angemietet?
Dazu möchten wir aktuell nichts sagen. Es ist doch klar: Wir betreiben ein kundenorientiertes Geschäft. Wir müssen sicherstellen, dass wir in dem unsicheren Umfeld, das die Brexit-Verhandlungen mit sich bringen, unser Dienstleistungsangebot für unsere Kunden aufrechterhalten können. Dennoch rechnen wird damit, dass London auch in Zukunft eines der führenden globalen Finanzzentren und der größte Standort von Goldman Sachs in Europa bleiben wird.
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