Theresa May hat in den zurückliegenden Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, sich als Inkarnation von Margaret Thatcher zu präsentieren. Lieber kein Ausstiegsvertrag als ein schlechter und in Brüssel würden die Eurokraten rasch erkennen, wie unangenehm sie sein könne. Obgleich die britische Premierministerin von ihrem Vorgänger David Cameron eine komfortable Mehrheit geerbt hatte, arrangierte sie Neuwahlen, um mit einer überwältigenden Mehrheit in die Verhandlungen zu ziehen.
Mit dem Verlust der absoluten Mehrheit ist ihre Strategie krachend gescheitert. Jetzt müssen die Briten mit einem „hung parliament“ in die Verhandlungen ziehen. Für Deutsche stellen Koalitionsregierungen – zumal im Bund – eine Selbstverständlichkeit dar, für Briten hingegen die Ausnahme und gelten als Zeichen von Schwäche. May ist damit politisch am Ende, bevor die Verhandlungen auch nur begonnen haben.
Zeitplan der Brexit-Verhandlungen hat sich erledigt
Trotz des Mediengewitters hat die britische Regierung seit dem Referendum vor fast einem Jahr nichts Weiteres zuwege gebracht als einen Brief mit dem Austrittsgesuch nach Brüssel zu schicken. Angesichts des May-Debakels dürfte der geplante Verhandlungsbeginn am 19. Juni obsolet sein. Um die Verhandlungen in den verbleibenden 21 Monaten abzuschließen, müssten innerhalb von maximal anderthalb Jahren eine Einigung erzielt werden und diese anschließend vom EU-Parlament, den sämtlichen 27 Parlamenten der restlichen EU-Mitglieder sowie vom britischen Parlament abgesegnet werden. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass die britische Regierung mit Dutzenden von Drittstaaten parallel neue Handelsabkommen aushandeln muss, denn diese hängen derzeit an EU-Mitgliedschaft ab. Mission impossible stellt dagegen ein Kinderspiel dar.
Unterdessen ist noch völlig unklar, wie es weiter gehen könnte. Eine große Koalition nach deutschem Muster zwischen dem erzkonservativen Tories und Corbyns stramm linken Labour scheidet aus. Eine Neuauflage der Koalition von Tories und Liberalen wie unter Cameron bis 2015 scheint ebenfalls undenkbar. Schließlich haben sich die Liberalen klar gegen den Brexit ausgesprochen. Bleibt eine Minderheitsregierung wohl unter den Tories. Wie diese allerdings die wohl unangenehmen Ergebnisse der Brexitverhandlungen ohne eine Mehrheit durchs Parlament bringen will, bleibt ihr Geheimnis.
Es bleibt also nur ein realistisches Szenario: Es wird weitergewurschtelt wie bisher und der Brexit wahrscheinlich im Einverständnis mit Brüssel mehrfach verschoben und zwar auf den St. Nimmerleinstag. Ob sich die Tories diese herbe Wahrheit eingestehen, bleibt indes zweifelhaft. Die Ära May neigt sich nach nur einem Jahr dem Ende zu.
Vorerst keine Brexitjobs für Frankfurt
Für den Finanzplatz Frankfurt stellt das Maybe-Debakel allerdings eine schlechte Nachricht dar. Denn bislang haben die Banken zwar intensiv an ihren Brexit-Plänen gearbeitet, aber kaum irgendwelche Entscheidungen gefällt. So hat der Co-Chef des Deutschlandgeschäfts von Goldman Sachs Jörg Kukies in einem Interview mit eFinancialCareers bestätigt, dass man sich „Optionen“ für einen Umzug gesichert habe – eingesetzt dürften diese Optionen jedoch so schnell nicht werden. Denn auch die Jobverlagerung nach Frankfurt ist seit heute auf einen unbestimmten Termin in der Zukunft verschoben.
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