Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse der CDU/CSU bei der gestrigen Bundestagswahl wie ein Triumph. Die FAZ bezeichnete Angela Merkel sogar treffend als „Gulliva unter Liliputanern“. Immerhin erkämpfte sich die Kanzlerin 41,5 Prozent der Stimmen, womit die Union trotz Regierungsverantwortung ihren Vorsprung vor der Mini-Volkspartei SPD mit gerade einmal 25,7 Prozent weiter ausbauen konnte. Linke und Grüne erzielten nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 8,6 und 8,4 Prozent. FDP und AfD scheiterten mit 4,8 bzw. 4,7 Prozent knapp an der Fünfprozenthürde.
Für einige Stunden erschien am gestrigen Abend sogar eine absolute Möglichkeit der Union zum Greifen nahe. Doch mit 311 von 630 Stimmen im künftigen Bundestag reicht es dafür nicht. Folglich wird die Kanzlerin auf eine Koalition mit SPD oder Grünen angewiesen sein. Eine Rot-Rot-Grüne-Regierung ist theoretisch möglich, aber unrealistisch. Zu verfeindet sind die Altlinken in der westdeutschen Linkspartei um Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht und der Reformflügel der SPD.
Steuererleichterungen dürften Geschichte sein
Auch wenn die ehemalige Große Koalition von 2005 und 2009 wichtige Veränderungen wie die Rentenreform durchdrückte, dürfte eine Neuauflage eher einen leichten Linksschwenk bedeuten. Steuererleichterungen für die arg geschröpfte Mittelschicht dürften in einer Koalition mit der SPD endgültig vom Tisch sein. Stattdessen wird an einem flächendeckenden Mindestlohn kaum ein Weg vorbeiführen. Für die Finanzbranche und ihre Mitarbeiter ist letzterer Punk jedoch irrelevant, da in der Branche derartige Löhne ohnehin kaum gezahlt werden.
Die Wiederauferstehung der Finanztransaktionssteuer
Dennoch würden zumindest zwei Projekte von einer Schwarz-Roten bzw. einer Schwarz-Grünen-Regierung vorangetrieben werden: So dürfte die Finanztransaktionssteuer wie Lazarus von den Toten auferstehen. Unter Finanzminister Wolfgang Schäuble war die geplante Steuer auf Wertpapierhandelsgeschäfte langsam aber konsequent aus der politischen Diskussion verschwunden und auf den St.-Nimmerleinstag vertagt worden. Da die Gier beider Regierungsmodelle nach Mehreinnahmen groß ausfällt, dürfte diese Steuer schnell wieder in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben werden. Eine solche Steuer belastet allerdings nicht die Banken, sondern die Bürger, die für ihr Alter vorsorgen. Die Ökosteuer auf Kraftstoffe zahlen ja auch nicht die Mineralölkonzerne, sondern die Autofahrer. Dennoch dürfte es den Frust der Bevölkerung über Finanzprodukte weiter steigern.
Steuerabkommen mit der Schweiz ist vom Tisch
Erhebliche Auswirkungen dürften die Ergebnisse der Bundestagswahl auch für Banken haben – allerdings nur für die in der Schweiz. Denn das vor knapp einem Jahr im Bundesrat gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz dürfte jetzt endgültig Geschichte sein. Es sah eine Abgeltungssteuer auf Erträge deutscher Steuerbürger bei Schweizer Banken vor ebenso wie die Pauschalbesteuerung der Altvermögen. Eine Große Koalition oder Schwarz-Grün wird indes auf einen automatischen Datenaustausch pochen, wie ihn die USA mit Fatca gegenüber der Schweiz bereits durchgesetzt haben.
Ende des Liberalismus in Deutschland?
Doch die langfristig gravierendste Frage lautet, ob der politische Liberalismus in Deutschland noch eine Zukunft hat. Die FDP war zuletzt die einzige etablierte Partei, die tatsächlich Steuersenkungen forderte. Dass die Liberalen trotz eines Erdrutschsieges bei der letzten Bundestagswahl in 2009 keinerlei Steuersenkungen durchzusetzen vermochten und dies nicht einmal ernsthaft anstrebten, wurde ihr jetzt zum Verhängnis. Die Wähler liefen in Scharen davon und erstmals in der Geschichte der Republik wird kein Abgeordneter der FDP im Bundestag sitzen. Ob sich die Partei von diesem Schlag erholen kann, wird die Zukunft zeigen. Doch vorher steht ein radikaler Neuanfang. Die Tage des Trios Infernale an der Parteispitze rund um Rainer Brüderle, Philipp Rösler und Guido Westerwelle – der gestern vorsorglich untergetaucht war – sollten gezählt sein.
