Vor einem Jobwechsel sollten Bewerber die Qualität des Arbeitgebers in spe genau prüfen. Nur leider verfügt nicht jeder über Bekannte, die Insider-Informationen liefern. Doch auch ohne den Blick hinter die Kulissen lässt sich mit hoher Sicherheit die Qualität eines Arbeitgebers abschätzen. Dazu bedarf es nur des Offensichtlichen. Headhunter Dario Schuler von der Contagi Personalberatung vertritt die Auffassung, dass sich aus Stellenanzeige, Bewerbungsprozess, Vergütungspaket und Fortbildungsangebot ablesen lässt, ob der potenzielle Arbeitgeber gut oder schlecht ist. Konkret:
1. Sich als Unternehmen und nicht als Arbeitgeber zu präsentieren
Schon aus einer Stellenanzeige lässt sich viel ablesen. „Stellt sich ein Unternehmen als Dienstleister oder Produzent vor oder aber als Arbeitgeber?“, fragt Schuler. Da die besten Kandidaten regelmäßig aus der gleichen Branche und oft sogar von Konkurrenten kommen, kennen sie meist das Geschäft des potenziellen Arbeitgebers. Von daher mache es wenig Sinn, wenn sich Investmentbank XYZ als führend in Fixed Income Sales vorstelle. „Die Stellenanzeige richtet sich ja nicht an Kunden, sondern an potenzielle Mitarbeiter“, gibt Schuler zu bedenken. Entsprechend sollte ein Unternehmen in der Stellenanzeige herausarbeiten, was es als Arbeitgeber profiliere. „Wenn dies fehlt, spricht dies für eine Geringschätzung der Bewerber.“
2. Das Stellenprofil ist zu vage
Ein weiteres Indiz für eine Geringschätzung der Mitarbeiter sei eine vage Aufgabenbeschreibung. „Die Stellenbeschreibung muss anschaulich, nachvollziehbar und differenziert sein“, betont Schuler. „Oft begnügen sich die HR-Mitarbeiter mit ‚copy and paste‘ aus dem Organisationshandbuch oder dem Anforderungsprofil der Fachabteilung. Das genügt nicht. Es fehlt die Übersetzungsleistung für Bewerber, die das Unternehmen nicht von innen kennen“, erläutert Schuler. Es reiche einfach nicht nur „Einsatzbereitschaft“ oder ähnliche Schlüsselbegriffe zu fordern. „Denn Einsatzbereitschaft im Finanzamt Frankfurt bedeutet etwas anderes als Einsatzbereitschaft bei Morgan Stanley.“
3. Es werden keine Ansprechpartner in der Stellenanzeige genannt
Nach Schulers Erfahrungen nennen gute Arbeitgeber schon in der Stellenanzeige zwei Ansprechpartner: einen für die Prozesse, der aus der Personalabteilung stammt, und einen für fachliche Fragen, meist der potenzielle Vorgesetzte. „Wenn die Ansprechpartner fehlen, dann gibt es für Kandidaten keine Möglichkeit ins Gespräch zu kommen. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn Kandidaten keine zusätzlichen Informationen einzuholen können.“ Ebenfalls handle es sich um ein schlechtes Omen, wenn keine Telefonnummer oder E-Mailadresse angegeben werden und die Kandidaten sich nur über das Bewerber-Management-System an den Arbeitgeber wenden können.
„Wenn allerdings das Stellenprofil gut gemacht ist, dann besteht auch weniger Kommunikationsbedarf“, schränkt Schuler ein. „Falls das Anforderungsprofil nur in ,teamfähig, flexibel und strukturierter Arbeitsweise‘ besteht, dann ist ein Kandidat schon fast gezwungen nachzufragen.“
4. Lange Reaktionszeiten
„Manchmal dauert es drei Wochen, bis sich ein Unternehmen nach einer Bewerbung erstmals bei dem Kandidaten meldet“, kritisiert Schuler. „Lange Reaktionszeiten sind immer ein schlechtes Zeichen.“ Dies zeige, dass die internen Rekrutierungsprozesse nicht gut funktionieren. Nach Schulers Erfahrung dauern die Prozesse ohnehin immer länger. Oft sei den Arbeitgebern nicht einmal bewusst, dass dies ein schlechtes Licht auf sie werfe. „Das ist ein blinder Fleck bei vielen Unternehmen“, sagt Schuler. Die Arbeitgeber würden hier die Kritik von Personalberatern nur selten annehmen. In Zeiten von Fachkräftemangel könne sich so etwas verheerend auswirken, denn die besten Kandidaten drohten abzuspringen oder zu anderen Arbeitgebern zu gehen.
„Es herrscht eine Diskrepanz zwischen den zum Teil gewaltigen Budgets fürs Employer-Branding und dem tatsächlichen Umgang mit den Bewerbern“, meint Schuler. Dabei werde die „Multiplikatorwirkung“ oft unterschätzt. Wenn sich 100 Leute auf eine Stelle bewerben, verärgere das Unternehmen nicht nur den einen Kandidaten, der den Job schließlich bekommt, sondern auch die 99 anderen. Und alle würden dies weitererzählen.
5. Mangelnde Transparenz der Rekrutierungsprozesse
Ein weiteres Qualitätsmerkmal guter Arbeitgeber sei eine hohe Transparenz des Bewerbungsprozesses. „Es ist durchaus legitim, wenn eine Arbeitgeber den Kandidaten mitteilt, dass sich der Prozess der Vorstellungsgespräche über sechs Wochen erstrecke, bis eine Entscheidung fällt“, sagt Schuler. „Dann ist das für einen Bewerber von vornherein klar.“
Auch für Personalberater seien die Prozesse manchmal kaum nachvollziehbar. Schuler berichtet von Fällen, wonach Unternehmen erst die Stelle online ausschreiben, dann einen Personalberater engagieren, weil sie keinen passenden Kandidaten gefunden haben, und plötzlich die Stelle intern besetzen. „Wo kommt jetzt der interne Kandidat her?“, fragt sich Schuler. Auch die internen Entscheidungswege seien oft sehr verschlungen. Je internationaler und dezentraler ein Unternehmen aufgestellt sei, desto schwieriger werde es. „Auch für uns Personalberater ist das manchmal eine Black Box.“
6. Keine individualisierte Kommunikation
Eine anonymisierte Kommunikation mit dem Bewerber spreche ebenfalls für eine geringe Wertschätzung der Kandidaten. „Es stellt schon einen Unterschied dar, ob eine E-Mail sich an ‚Sehr geehrter Bewerber‘ oder an ‚Sehr geehrter Herr Müller‘ wendet“, sagt Schuler. Dies sei nicht einmal mit Mehraufwand verbunden. „Das können Sie heute alles automatisieren.“
7. Unflexible Vergütungsmodelle
Nicht nur schlechte Bezahlung, sondern auch starre Vergütungsmodelle sind ein schlechtes Omen. „Je vielfältiger und flexibler die Leistungen ausfallen, desto interessanter ist ein Arbeitgeber. Der Arbeitgeber fragt sich also, was brauchen meine Mitarbeiter im Einzelnen“, weiß Schuler. Boni, Altersvorsorgeleistungen, Firmenwagen, Kinderbetreuung – es gibt eine ganze Palette von möglichen Zusatzleistungen. Während flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsleistungen für junge Mütter ausschlaggebend seien, bevorzugt jemand anderes vielleicht einen Dienstwagen.
8. Bescheidene Fortbildungsmöglichkeiten
Ein schwacher Arbeitgeber lässt sich überdies an keinen oder nur geringen Fortbildungsmöglichkeiten erkennen. Bietet ein Arbeitgeber nur Standardschulungen wie Software-Trainings, die für die Ausübung des aktuellen Jobs erforderlich sind, oder auch weiterführende Fortbildungen wie z.B. ein Führungskräfteentwicklungsprogramm? „Gute Fortbildungsmöglichkeiten zeigen, dass der Arbeitgeber an der langfristigen ,Employability‘ seiner Mitarbeiter interessiert ist,“ betont Schuler.
9. Kein Kennenlernen des Teams zu ermöglichen
„Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Arbeitgeber einem Kandidaten die Möglichkeit einräumt, die zukünftigen Teamkollegen kennenzulernen“, sagt Schuler. So etwas finde üblicherweise im letzten Viertel des Auswahlprozesses statt. Die mangelnde Chemie eines Teams sei eine häufige Ursache, wieso Mitarbeiter nach wenigen Jahren wieder gehen. „Leider lässt sich ein Kennenlernen der potenziellen Kollegen nicht immer umsetzen“, schränkt Schuler ein.
Fazit
Freilich handelt es sich bei diesen neun Punkten nur um Indizien für einen schlechten Arbeitgeber und um keine Ausschlusskriterien. Falls Sie jedoch bei allen oder den meisten dieser Punkte ein Kreuz machen müssen, dann sollten Sie sich die Annahme eines Jobangebots reiflich überlegen.
Unterdessen hat Schuler für Bewerber einen ganz besonderen Tipp parat: „Erscheinen Sie 15 Minuten vor einem Vorstellungsgespräch und setzen Sie sich in die Lobby. Halten Sie die Augen und Ohren auf: Wie sprechen die Leute miteinander, wie sind sie gekleidet, wie verhalten Sie sich? Auf diese Weise lässt sich viel über den Arbeitgeber herausfinden.“
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