Die Nachricht schlug heute Morgen am Finanzplatz Zürich wie eine Bombe ein: Der bisherige Julius Bär-Chef Boris Collardi verlässt die Bank mit sofortiger Wirkung und fängt im Sommer kommenden Jahres als Partner bei der Genfer Privatbank Pictet an. Dort wird der 43jährige das Global Wealth Management leiten und zwar nicht allein, sondern mit dem bisherigen Leiter Rémy Best.
Unerhörter Vorgang
„Die Nachricht hat mich schon sehr überrascht. Es ist seltsam, dass ein CEO der drittgrößten Schweizer Bank als Partner zum direkten Mitbewerber wechselt”, sagt Headhunter Stephan Surber von Page Executive in Zürich. Als CEO von Julius Bär habe er einen größeren Handlungsspielraum als als Partner bei Pictet.
Auch die Kommunikation von Julius Bär erstaunt den Karriereexperten. Denn heute Morgen hat das Unternehmen nicht nur Collardis Abgang kommuniziert, sondern gleich auch noch gemeldet, dass er im Sommer 2018 bei der Genfer Konkurrenz anfängt. „Das habe ich in meiner über zehnjährigen Karriere noch nicht erlebt”, kommentiert Surber. Normalerweise verabschiede sich eine Führungskraft wie Collardi erst in ein Sabbatical und ein halbes oder ganzes Jahr später tauche er irgendwo anders wieder auf. Anders sei dies auch kaum möglich, da solche Führungskräfte meist einer Konkurrenzausschlussklausel von einem halben oder ganzen Jahr unterlägen. Da Collardi im Sommer kommenden Jahres bei Pictet anfangen will, scheint in seinem Fall die Konkurrenzausschlussklausel zwölf Monate zu betragen, da die Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im Sommer vom Verwaltungsrat gefällt wurde.
Die Umstände seines Abgangs sprechen dafür, dass der Abgang nicht wahrscheinlich nicht ganz freiwillig erfolgte. Surber will sich da nicht festlegen. „Ich kenne die genauen Hintergründe nicht. Aber schon im Frühsommer hat es bereits Gerüchte gegeben, dass es für Collardi eng wird.”
Allerdings geht Surber davon aus, dass Collardi bei Pictet finaziell nicht schlechter gestellt sein werde als bei Julius Bär. Einmal sei Pictet für sein hohes Vergütungsniveau in der Schweiz bekannt und zweitens werde er wohl wichtige Kunden mitbringen.
Julius Bär-Chef mit 34
Der bisherige Shootingstar des Schweizer Wealth Managements scheint sich in einen Ikarus zu verwandeln, der mit seinen Flügeln zur Sonne fliegen wollte und nach einem anfänglichen Höhenflug abstürzte. Der schweizer-italienische Doppelbürger hat nach einem Diplom in Accounting der Cessouest School in Nyon bei Genf 1993 in einem Karrierestartprogramm bei der Credit Suisse begonnen. Dort war er zwischen 1998 und 2002 von Singapur aus am Aufbau des Asiengeschäfts beteiligt. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Schwellenländer für das Wealth Management prädestinierte ihn das für höhere Aufgaben. Collardi gilt als Ziehsohn des Credit Suisse-Managers Alex Widmer, der 2008 Selbstmord beging.
2006 wechselte Collardi als COO für die Region Europa, Naher Osten und Nordafrika zu Julius Bär. Dort wurde der gerade einmal 34jährige 2008 zum CEO befördert – ein unerhörter Vorgang im so konservativen Schweizer Private Banking. Eine ebenso beispielloser Expansionskurs folgte. Zwischen 2009 und 2017 steigerte Collardi die verwalteten Vermögen von 154 auf 393 Mrd. Franken. Die Mitarbeiterzahl verdoppelte sich nahezu von 3078 auf 5856 Beschäftigte. Die Expansion ging indes weniger auf ein organisches Wachstum als auf Übernahmen zurück. Das ambitionierteste Projekt des helvetischen Ikarus war dabei sicherlich die Übernahme des International Wealth Management-Geschäfts von Merrill Lynch im Jahr 2012. Doch hinter der glänzenden Fassade rumorte es gewaltig. Während die Bank stetig wuchs, hatte sie im operativen Geschäft mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Vor allem bei der dringenden Erneuerung der IT konnte Collardi nicht liefern. All dies führte wohl zu dem jetzigen Abgang.
Wo geht die Reise von Julius Bär hin?
Hinter der Zukunft von Julius Bär steht vorerst ein großes Fragezeichen. Denn das Unternehmen präsentierte als komissarischen Collardi-Nachfolger den bisherigen Risikovorstand Bernhard Hodler. Der 57jährige ist in Zürich wenig profiliert und gilt als Figur des Übergangs. Es wird also noch spannend werden, wo die Reise von Julius Bär hinführt.
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