Vor mehr als einem Jahr habe ich Goldman Sachs verlassen, dennoch erhalte ich immer noch Whatsapp-Meldungen meiner Freunde unter den Associates in der Investment Banking Division (IBD). Sie beschweren sich z. B. in einer Nachricht von 2 Uhr nachts über ihre Analysten. Die Investment Banking-Einsteiger treiben sie einfach in den Wahnsinn.
Sich in Geduld zu üben, fällt einem in den frühen Morgenstunden besonders schwer und namentlich Analysten können einen zur Weißglut treiben. Schließlich ist ein Analyst kaum mehr als jemand, der gerade sein Bachelor-Studium abgeschlossen hat. Sie wissen einfach noch nicht, wie die Welt da draußen wirklich funktioniert. Da ich selbst einmal Analystin gewesen bin, weiß ich, wovon ich spreche. Nachdem ich nach zwei Jahren zum Associate befördert wurde, weiß ich aber auch, wie frustrierend es sein kann, Analysten zu managen.
Da ich schon auf beiden Seiten des Zauns gesessen habe, habe ich hier einen kleinen Ratgeber zusammengestellt, wie Sie die mentale Gesundheit Ihres Associates schützen, wenn Sie ein Analyst sind, der mit nur drei Stunden Schlaf auskommen muss.
1. Die Analysten, die schon alles wissen
Viele Associates beschweren sich über Analysten, die stets sagen: „Ja, ja, hab’s verstanden.“ Doch damit begnügen sie sich keinesfalls. Regelmäßig geben sie vor etwas zu wissen, was nicht der Fall ist. Weiter schreiben sie sich nicht auf oder erinnern sich, was von ihnen verlangt wird.
Es ist schlimm, wenn einem mitgeteilt wird, dass der „Ja-Ja“-Analyst irgendetwas falsch gemacht hat. Noch schlimmer ist es, wenn Sie um 2 Uhr nachts feststellen, dass sie es vergessen und nicht einmal damit angefangen haben.
2. Die „Wieso machst Du es nicht selbst?“-Analysten
Wenn Sie als Analyst im Banking beginnen, sind Sie meist dankbar. Doch im Verlauf der Zeit stellen Sie fest, dass die Associates Sie mit Aufgaben überhäufen, die oft Stunden und bis spät in die Nacht dauern, und die von einem Associate selbst in zehn Minuten erledigt werden könnten. „Wieso kannst Du das nicht machen, damit wir beide früher nachhause kommen“, lautet eine Standardantwort – besonders freitags, wenn Analysten sauer sind, dass sie ein romantisches Stelldichein verpassen.
Dabei gibt es drei Gründe, wieso sich Associates über die „Wieso machst Du es nicht selbst?“-Analysten ärgern.
Wenn die Associates ihren Analysten diese Aufgaben nicht beibringen, werden sie sie niemals lernen. Und wenn sie sie niemals lernen, werden sie dem Team niemals von Nutzen sein.
Da Analysten nicht sämtliche E-Mails erhalten, kennen sie nicht die Arbeitsbelastung und die Prioritäten des Associates. Die Analysten gehen einfach davon aus, der Associate verfüge über die Zeit, diese Aufgaben neben seinen übrigen Pflichten zu erledigen.
Die „Wieso machst Du es nicht selbst?“-Analysten wissen es nicht zu schätzen, dass der Associate ebenfalls bleibt, um gemeinsam zu „leiden“. Der Associate ist da, um zu helfen und ihr oder ihm die Aufgaben beizubringen und es ihm so zu ermöglichen, früher nachhause zu gehen. Die einfache Alternative für den Associate würde darin bestehen, selbst früher nachhause zu gehen und es dem Analysten zu überlassen, es bis zum nächsten Morgen selbst herauszubekommen.
3. Die „Ich habe es nicht gelesen“-Analysten
Diese Analysten lesen nichts. Sie lesen nicht die Präsentationen, die sie produzieren, und sie lesen nicht die E-Mails, die sie als Kopie erhalten und in denen sie genannt werden.
Ich muss gestehen, dass ich als Analyst selbst diese Fehler begangen habe. Wer selbst mit einer Vielzahl kleiner Aufgaben überhäuft ist, übersieht leicht Dinge, die damit nichts zu tun zu haben scheinen. Mein Associate hat sich oft darüber geärgert, weil ich einige Ausführungen nicht verstanden habe, weil ich einfach nicht den gesamten Paragrafen oder sogar die ganze Seite des Pitchbooks gelesen hatte.
Das Problem dabei: Wenn Sie Analyst sind, dann kommen Sie sich rasch als bloß ausführendes Organ vor. Sie erhalten nicht sämtliche E-Mails und Sie werden nicht immer angemessen gebrieft. Ihnen fehlt daher der Überblick. Wenn man darüber hinaus in eine lange Liste von E-Mail-Empfängern vom Managing Director oder einem Vice President hineinkopiert wurde, dann glaubt man schnell, dass es einen nichts angehe und jemand anderes dafür zuständig sei.
Doch oft werden Sie weiter unten in der E-Mail ebenfalls erwähnt und Ihnen eine Aufgabe übertragen. Tagelang bemerkt das keiner, bis der Associate nachfragt. Ähnlich wie der „Ja, Ja, ich hab’s verstanden“-Analyst fürchtet sich auch der „Ich habe es nicht gelesen“-Analyst vor seinen Associates. Abermals ist nichts schlimmer als um 2 Uhr nachts gesagt zu bekommen, man habe etwas weder gelesen, noch davon gehört, geschweige denn erledigt. Beides bedeutet, dass sie beide noch bleiben müssen, um es rechtzeitig gestemmt zu bekommen.
Letztendlich gibt es zwei Arten schlechter Analysten: die Wohlwollenden. Zwar arbeiten sie hart, doch begehen sie immer die gleichen Fehler und scheinen niemals etwas hinzubekommen. Und die talentierten Analysten, die sich nicht wirklich bemühen und die Arbeit entweder flüchtig oder gar nicht erledigen.
Nachdem ich selbst zum Associate befördert worden war, habe ich folgendes zu den Analysten gesagt: „Ich bin enttäuscht, nicht verärgert. Du könntest besser sein.“ Das funktioniert meist bei beiden Arten schlechter Analysten, weil es die wohlwollenden Analysten anspornt doppelt so hart zu arbeiten und die schludrigen zu beweisen, dass sie es besser können.
Natürlich sind auch die Associates weit von Perfektion entfernt. Zweifellos haben Vice Presidents eigene Whatsapp-Chats, in denen sie sich über ihre unmittelbaren Untergebenen beschweren. Doch Associates haben wenigstens schon ein wenig Bescheidenheit gelernt.
Mai Le arbeitete als Investment Banking Associate für Goldman Sachs, bevor sie sich selbständig machte.