Die Arbeit im Ausland scheint eine wahre Stärkung für das Ego deutscher Banker zu bedeuten. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie von Lars Meier vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Arbeitsagentur in Nürnberg. Meier hat über vier Jahre 40 deutsche Finanzprofis interviewt, die in London und Singapur arbeiten. Der Standortfaktor spiele bei der Entwicklung eines Superioritätsgefühls eine zentrale Rolle. Insgesamt macht Meier sechs Kriterien aus:
1. Wer in London arbeitet, begreift sich als Teil einer langen Tradition
„Sie sehen die City of London und auf der rechten Seite den Big Ben und die Houses of Parliament”, erzählte ein 37jähriger deutscher Investmentbanker aus London. „Das ist der Moment, in dem ich denke: Es ist großartig, in der City zu arbeiten. Es ist schon beeindruckend, dass mir das gelungen ist und ich in der City arbeiten kann… Ich bin perfekt dafür geeignet.“
2. Ausländische Banker in der City sehen sich als Teil einer transnationalen Elite
„Sicherlich handelte es sich um einen Schritt voran in meiner Karriere. Ein oder zwei Jahre in London zu arbeiten, macht sich in Ihrem Lebenslauf wirklich gut“, sagte ein 50jähriger Head of Credit. Ein Wechsel nach London könne der Karriere eine ganz neue Richtung geben.
3. Wer mit dem Arbeitsrhythmus in London zurechtkomme, fühle sich besser als die daheimgebliebenen Kollegen
Gleich mehrere Banker in London vertraten Meier gegenüber die These, dass der Arbeitsalltag an der Themse rauer als in Deutschland ausfalle. So betonte ein 47jähriger Investmentbanker, dass man seinen Job in London verliere, wenn man die geforderte Leistung nicht erbringe. Zuhause würde so etwas „niemals passieren“.
Laut einem anderen Banker lasse sich die Work-Life-Balance in Deutschland leichter realisieren. „Hier in London leben die Leute während der Woche für ihren Beruf.“
Der Head of Credit sagte sogar: „Im Vergleich zu hier handelte es sich in Deutschland um einen Spaziergang durch den Park.“
4. Sie verinnerlichen eine Banking-Identität
Deutsche Banker lassen beim Umzug nach London ihrer alte Identität gewissermaßen hinter sich. Ein junger Banker erzählte Meier beispielsweise, wie er seine hellen Anzüge, mit denen er in Frankfurt zur Arbeit ging, in den Schrank hängte. „Bei seiner Ankunft konnte er seine Kleidung nicht länger tragen und nach seinem ersten Arbeitstag kaufte er sich neue Anzüge – ausschließlich in Schwarz und Dunkelblau“, schreibt Meier.
Doch dies betrifft nicht nur Äußerlichkeiten. Viele Deutsche bevorzugen es, ihre Nationalität zu verbergen und sich eine „europäische Identität“ zuzulegen, um dem „Kraut-Bashing“ der Briten zuvorzukommen.
5. Deutsche in Singapur fühlen sich als elitäre „Abenteurer“
Während Deutsche in London sich am „Nabel der Finanzwelt“ wähnen, entwickeln Deutsche in Singapur ein anderes Selbstwertgefühl, das allerdings nicht unbedingt bescheidener ausfällt. Laut Meier betrachten sich Deutsche in dem asiatischen Finanzzentrum als Abenteurer. Dies schließt der Wissenschaftler aus seinem Gespräch mit einem 38jährigen Chief Technology Officer einer Bank.
Weil die Deutschen in London als ausländisches Talent „auserwählt“ worden seien, betrachten sie sich als etwas Besonderes. „Sie sehen sich selbst als Teil einer kleinen Gruppe westlicher Ausländer, die sie für eine transnationale Elite halten.“
6. Weiße Ausländer in Singapur halten sich für etwas Besonderes
Problematischer noch: Meier registrierte in Singapur einen unterschwelligen Rassismus am Arbeitsplatz. Die Ausländer betrachteten ihre einheimischen Kollegen als „unselbständig, unflexibel und unkreativ“. Einer klagte sogar über seine asiatischen Vorgesetzten: Sie seien fixiert auf das, was ihnen drei oder viermal am Tag von einer Zeitung oder der Regierung eingebläut werde. Als Folge davon wären sie kaum in der Lage, eigenständig zu denken.
Nach Meier würden die deutschen Banker sich als Teil einer transnationalen Elite begreifen, die mit der weißen Hautfarbe zusammenhänge. Durch das Selbstverständnis als „ausländische Elite“ auf einem fernen Außenposten fühlten sich die Deutschen auch weniger verpflichtet, sich an ortsübliche Konventionen zu halten. So würden sie sich beispielsweise weniger formell kleiden.