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Die Geheimnisse einer Persönlichen Assistentin aus dem Investmentbanking

Wer im Front Office einer Investmentbank arbeitet und mit seiner Bezahlung, den Arbeitszeiten oder seinem Ansehen hadert, der sollte es mal als Persönliche Assistentin versuchen. Ich bin die Assistentin eines Managing Directors, der ein Team von rund 40 Leuten leitet. Es handelt sich um eine undankbare Aufgabe, aber eine mit tiefen anthropologischen Einsichten.

Wenn Sie im Handelssaal sitzen, ein sicheres sechsstelliges Gehalt und einen ebenso hohen Bonus kassieren, dann ist Ihnen wohl unbekannt, dass viele von uns nur einen befristeten Vertrag besitzen, der ohne solche Vergünstigungen wie private Zusatzkrankenversicherung und Altersvorsorge auskommt. Als befristete Arbeitskräfte haben wir ebenfalls keinen Anspruch auf den Bonuspool. Und selbst wenn unsere Verträge nicht befristet sind, fallen unsere Boni – wenn überhaupt – winzig aus.

Allerdings arbeite ich als Persönliche Assistentin nicht des Geldes wegen im Banking: Ich arbeite hier, um mir die Leute genau anzuschauen. Vielleicht sehen Sie mich nicht, doch ich sehe Sie!

Zunächst habe ich Zugang zum E-Mail-Account meines Managing Directors. Ich arrangiere seine Meetings und lösche irrelevante E-Mails. Ich bekomme Dinge zu lesen, die Sie niemals zu Gesicht bekommen und von denen Sie nicht einmal hören. Ich weiß, was Sie verdienen. Ich weiß, wer von Ihnen vor die Tür gesetzt wird. Ich sehe, was das Senior Management bespricht. Manchmal gerate ich auch in einen inneren Konflikt: So stand ein Freund von mir auf einer Kündigungsliste. Ich verriet ihm nichts.

Ich beobachte einige Ihrer Beziehungen und welche Ausgabegewohnheiten Sie haben. Mich haben schon Führungskräfte gebeten, für sich und ihre Freundinnen Lunch-Termine zu buchen und ich wurde von derselben Führungskraft gebeten, ein Mittagessen für ihn und seine Gattin zu arrangieren. Oft wird mir auch die Spesenabrechnung übertragen: Ich weiß also, wer seine Budgets überschreitet, wer gerne in teuren Restaurants speist und wer bescheiden ist.

Manchmal bin ich auch in medizinische Probleme involviert. So hat uns ein Managing Director aus New York mit Magenproblemen besucht. Dreimal dürfen Sie raten, wer sein Durchfallmittel kaufen durfte? Einige bitten mich auch, Taxis oder Wagen zu buchen. Dann fühle ich mich wie ein Concierge. Andere wollen, dass ich ständig ihre Flüge ändere.

Dafür erhalte ich ein Gehalt, welches einen Bruchteil des Ihren beträgt. Hinzu kommt noch ein großzügiges Weihnachtsgeschenk, womit Sie Ihre während des Jahres unausgesprochene Dankbarkeit zeigen. Gelegentlich darf ich auch an Dinnern mit Kunden teilnehmen – damit zumindest ein weibliches Gesicht zugegen ist. Gelegentlich werde ich auch von einen von Ihnen angesprochen, weil Sie so lange Zeit im Büro verbringen, dass jede heiratsfähige Frau einfach angesprochen werden muss. Obwohl ich manchmal geschmeichelt bin, lehne ich immer ab. Ich weiß, wie Banker ticken. Daher verspüre ich keinen Drang, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen als nötig.

Sylvie LeGaz ist das Pseudonym einer Persönlichen Assistentin bei einer US-Investmentbank.


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