Der ohnehin schon schlechte Streit um den Brexit nimmt langsam wahnsinnige Züge in London an. So mancher Londoner Finanzprofi spielt womöglich schon mit dem Gedanken, im neuen Jahr einen der ersten Flüge nach Frankfurt oder Paris zu besteigen. Bei einigen Sales-Mitarbeitern könnte dies durchaus der Fall sein. Doch die meisten Front Office-Jobs dürften noch über Jahre in London bleiben, bevor der Massenexodus einsetzt.
Für die Atempause sorgen ausgerechnet die europäischen Regierungen, die noch nicht im Chaos versunken sind. So hat beispielsweise das Bundesfinanzministerium klammheimlich einige Gesetzesänderungen rund um den Brexit auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen des Austritts zu minimieren. Frankreich hat schon etwas früher einschlägige Gesetzesänderungen initiiert.
Laut der internationalen Rechtsanwaltskanzlei erhält die BaFin künftig die Möglichkeit, britischen Banken und Asset Managern zu erlauben, nach einem Brexit für begrenzte Zeit weiter in der restlichen EU Geschäfte zu machen. Selbst falls Großbritannien am 29. März ungeregelt aus der EU ausscheiden sollte, könnten die Geschäfte so für bis zu 21 Monate weiterlaufen. In Frankreich finden Clifford Chance zufolge ähnliche Vorbereitungen statt.
Doch die Vorbereitungen seitens der Bundesregierung stellen keinen Freifahrtschein dar. „Transaktionen nach dem 29. März sind davon nur betroffen, wenn diese Transaktionen eng mit Transaktionen verbunden sind, die bereits zum Zeitpunkt des Brexits bestanden“, heißt es von Clifford Chance. Die Gesetzentwürfe würden allerdings weder spezifizieren, was unter „enger Verbindung“ zu verstehen sei noch welche Dienstleistungen fortgesetzt werden dürften. „Doch gemäß der Argumentation der Gesetzesvorlage müssten das Hedgen von Transaktionen aus der Zeit vor dem Brexit oder bestimmte zyklische Dienstleistungen darunter fallen“, so Clifford Chance.
Die französischen Vorbereitungen sind unterdessen nicht weit gediehen und werden sich wohl nur auf Verträge erstrecken, „die vor dem Brexit unabänderlich eingegangen“ wurden. „Frankreich versucht etwas abzugreifen, das war schon immer so“, kommentiert Rechtsanwalt Barnabas Reynolds von Shearman & Sterling.
Die Vorkehrungen einzelner Länder stellen kein optimales Szenario für einen harten Brexit dar. Doch zumindest im Falle Deutschlands rechnen die Trader damit, nicht zum Stichtag nach Frankfurt umziehen zu müssen. Dagegen erwarten sie einen zeitigen Umzug nach Frankreich.
Wie dem auch sei scheint der Druck auf die Banken nicht so groß auszufallen, wie viele vermuten. Die Leiterin des Regulierungsteams bei der Rechtsanwaltskanzlei Hogan Lovells Rachel Kent bemerkt: Falls eine Ausstiegsvereinbarung zustande kommt, bleibe den Finanzdienstleistern Zeit bis 2021. Erst wenn dies scheitern sollte, würden die einzelstaatlichen Übergangsregeln greifen. „Das Hauptproblem der Banken besteht darin, dass sie den Zugang verlieren, und diese verzögern lediglich den Zeitpunkt“, meint Kent.
Unterdessen kursieren in der Londoner City diverse Gerüchte rund um den Brexit. Eines davon: Trader würden zu einem Umzug nach Kontinentaleuropa gedrängt und sollten kurzfristig neue Verträge unterzeichnen. Andere besagen, dass die Zahl der von einem Umzug betroffenen Jobs deutlich geringer als befürchtet ausfalle. Doch nicht alles trifft zu. Viele Jobs werden verlagert werden, doch trotz des Brexitchaos haben die Banken gute Gründe, damit noch abzuwarten.